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Die Mutter aller Stürme

Die Mutter aller Stürme

Titel: Die Mutter aller Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Barnes
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wie eine Türklingel im Traum: es
führt kein Flur zu dieser Tür, und man weiß,
daß hinter der Tür der Tod lauert… und man kann nicht
mehr tun, als die Korridore ständig nach der Tür
abzusuchen, um sie endlich zu öffnen.
    Harris Diem seufzt. Immer, wenn die Dinge sich so komplizieren wie
jetzt, setzt das Summen ein, und es ist, als ob der Keller ihn rufen
würde, ihn bittet, hinunterzugehen. Damals, als die
Afropäer vertrieben wurden, als die Marine vor Jütland
stand und Admiral Tranh alle drei Stunden weitere Marines anforderte,
mehr Jagdschutz und mehr Raumüberwachung, denn er glaubte nicht,
seine Kommandeure zurückhalten zu können, wenn die Ballerei
losging, und das hätte Krieg bedeutet… die ganze lange
Woche hatte das Summen wie ein Messer durch seinen Kopf geschnitten.
Und als er sich schließlich an der juckenden Stelle kratzte,
ging es ihm danach so schlecht, daß er kurz davor stand, sein
eigenes Haus anzuzünden. Er hätte sagen können, es
wegen der Versicherungsprämie getan zu haben und dann einen
unehrenhaften Abschied nehmen. Er hätte es tun sollen. Und eines
Tages wird er es auch tun.
    Aber jetzt braucht die Chefin ihn. Sobald diese Krise vorbei
ist… wird er in den Keller gehen. Dann wird er sich
überlegen, wie er ein für allemal Schluß machen
kann.
    Dies ist ein Versprechen, das er sich schon viele Male gegeben
hat.
     
    Das größte Problem beim Zipline ist, daß
man den Eindruck hat, alle Ziele mit einem Aufzug anzusteuern; es
gibt wohl ein Fenster, aus dem man hinausschauen kann, weil das
Fahrzeug sich aber mit einer Geschwindigkeit von fast
sechshundertfünfzig Kilometern pro Stunde bewegt, hat man ihm
eine Trasse zugewiesen, die fast auf ganzer Länge zwischen
hohen, eingezäunten Erdwällen verläuft; es gibt also
nichts zu sehen, und bei den seltenen Gelegenheiten, wo das Fahrzeug
durch eine Schlucht schießt oder eine Steigung nimmt, bewegt
der Zipline sich so schnell, daß den meisten Passagieren
schlecht wird. Also lassen die kleinen Kinder die Blenden vor den
Fenstern bald geschlossen.
    Da die Privatabteile praktisch für jeden erschwinglich sind,
hat der Zipline sich zum bevorzugten Refugium für eine
zeitweilige Privatsphäre entwickelt. Als er noch ein Teenager
war, hatte Jesse Mädchen aus Tucson nach L.A., Albuquerque und
sogar Dallas ausgeführt, nur um die ganze Fahrtzeit mit ihnen im
Abteil allein zu sein, und anscheinend handelt jedes fünfte
XV-Drama von einem Pärchen, das im Zug regelmäßig ein
wenig Ehebruch betreibt.
    Das andere Klischee besagt, daß manche Paare im Zipline ihre Zwistigkeiten austragen, und Jesse und Naomi werden diesem
Klischee gerade gerecht.
    Jesse weiß nicht, was jetzt schon wieder los ist. Nachdem
sie vor einer Woche die Explosion der UN-Raketen mitverfolgt hatten,
sind sie mit dem Lectrajeep in die Wüste hinausgefahren und
haben sich auf der Rückbank des Fahrzeugs geliebt, mit offenem
Verdeck, so daß sie vom hellen Sternenlicht beschienen wurden.
Danach haben sie nebeneinander gelegen, sich berührt und
flüsternd gesprochen, und sie hat ihm viele Fragen zum Leben in
der Wüste gestellt.
    Da hatte er zum erstenmal den Eindruck, daß sie etwas von
ihm wissen wollte, ohne ihn gleich darauf zu korrigieren.
    Und als sie wieder zurück waren, schliefen sie an den
nächsten drei Tagen öfter miteinander als in den letzten
Monaten. Sie ließen alle Versammlungen ausfallen, und er hatte
reichlich Zeit zu studieren.
    Aber seit heute morgen streiten sie sich wieder. Es ist eine
dieser wirklich frustrierenden Auseinandersetzungen, bei denen es
Jesse nicht gelingt, Naomi zu dem Eingeständnis zu bewegen,
daß es sich um einen Streit handelt; für sie ist es eine
›Klärung‹. Soweit er sagen kann, klärt sie
momentan die Gefühle, die sie angesichts des Vorhabens befallen
haben, ihn zu verlassen, denn sie mag ihn wirklich. Diese
Überzeugung artikuliert er dann auch.
    »Ich wußte, daß du es so interpretieren
würdest!«
    Mit dieser Antwort kann er nicht viel anfangen. Die
Zwei-Personen-Abteile des Zipline sind im Grunde große
Schränke – ihre Knie berühren sich fast, und um sich
den maximalen Freiraum von knapp einem Meter zu verschaffen,
müssen sie sich zurücklehnen, wobei Jesses Schultern
Kontakt sowohl mit der Wand als auch der Tür haben. Also tragen
sie diesen Kampf auf engstem Raum aus.
    »Ich verstehe nicht«, sagt er.
    »Ich habe dir doch schon gesagt, daß du nicht
erfaßt, was ich sage, wenn du versuchst, es zu

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