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Die Mutter aller Stürme

Die Mutter aller Stürme

Titel: Die Mutter aller Stürme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Barnes
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durch die Trockenheit
ausgedörrt, und schließlich brechen die polaren Luftmassen
durch. Heftige, konservierte Wirbelstürme fegen über die
ausgetrockneten Gebiete und legen eine Staubglocke über die
Hemisphäre – woraufhin im nächsten Jahr noch eine oder
mehrere der Optionen eins bis vier folgen.«
    Jesse stößt einen langen, leisen Pfiff aus. »Wenn
das so ist, verdammt, dann ist das also wirklich eine
größere Sache? Hat es Sinn, sich deswegen Sorgen zu
machen?«
    »Es ist eine größere Sache, richtig. Ob es Sinn
hat, sich deswegen Sorgen zu machen, kommt darauf an. Die Menschheit
ist nicht in der Lage, etwas dagegen zu unternehmen, mußt du
wissen, und obwohl du dich nun den Nationalisten anschließen
und die UN dafür verantwortlich machen oder aber zu einem
Internationalisten werden und verlangen könntest, daß alle
Macht an die UN übergeht, verhält es sich im Grunde so,
daß, unabhängig vom Verhalten der Menschen, ebendies
früher oder später ohnehin geschehen wäre. In den
höheren Breiten ist der Meeresboden mit Methan regelrecht
vollgesogen. Früher oder später wären doch Atom- oder
Antimaterie-Waffen dort explodiert, oder ein unterseeischer Lavastrom
hätte die Lagerstätten zum Schmelzen gebracht, oder
vielleicht wäre auch ein großer Meteor mittendrin
eingeschlagen. Außerdem, angesichts des globalen
Treibhauseffekts könnten sich bei zunehmender Erwärmung der
tieferen Meeresschichten in hundert Jahren alle Methan-Felder
auflösen – ein paläontologisches Team ist mit
entsprechenden Ausgrabungen beschäftigt. Im Lauf der
Erdgeschichte hat es bereits einige sehr kurze Erwärmungen
gegeben, und um eine solche handelt es sich wohl auch jetzt. Es ist
früher schon geschehen, und es wird wieder geschehen.«

»Hat ja große Ähnlichkeit mit einem
Verkehrsunfall.« Jesse wirkt leicht erschüttert.
»Egal, wie wahrscheinlich er ist, man könnte gut darauf
verzichten.«
    »Ja, wirklich. Abgesehen davon, in nicht einmal zehn Jahren
ist alles vorbei; dann wird das überschüssige Methan vom
Ozean absorbiert und von den Mikroben aufgezehrt worden sein,
abgefackelt, durch die UV-Strahlung in der oberen Atmosphäre
zerlegt und so weiter.«
    »Nun, Teufel, da gibt es aber viel zu absorbieren«,
erkennt Jesse schließlich. »Es besteht anscheinend keine
Möglichkeit, etwas dagegen zu unternehmen…«
    Di zuckt die Achseln. »Wir könnten die Leute auffordern,
sich auf schlechte Neuigkeiten einzustellen. Das wäre aber auch
schon alles. Wärme ist Energie, und je mehr Energie im System
steckt, desto intensiver wird der Vorgang. Ich habe dir hoffentlich
etwas helfen können.«
    »Du bist immer eine Hilfe. Du bist der verdammt beste
große Bruder, den ich habe. Grüße Lori und die
Kinder.«
    Es dauert eine Sekunde, bis Di verstanden hat, daß
›verdammt‹ in diesem Kontext ein positiv konnotiertes Wort
ist.
    Als sie auflegen, wird die Verbindung nicht
›unterbrochen‹, wie es landläufig heißt;
während ihres langen Gespräches haben alle Daten
selbständig die Billionen möglicher Verbindungen
durchlaufen und sich am anderen Ende wieder rekonfiguriert. Nur,
daß sie jetzt nicht mehr durch das Labyrinth huschen.
     
    In der Substation in der Nähe von Dis Büro, wo Jesses
Audio- und Videosignale rekonstruiert und die von Di abgeschickten
Audio- und Videosignale fragmentiert wurden, tummelten sich über
dreißig interessierte Späher.
    Als die normalen Bild-Telefone durch digitalisierte
Übertragung ersetzt wurden, warnten die Zeitungen vor der
potentiellen Gefahr, die ›Viren‹ – der
umgangssprachliche, pejorative Begriff für selbstreproduzierende
Programme – für die Telekommunikation darstellten.
    Wie üblich, hinkte die Terminologie den Fakten weit
hinterher. Der Reproduktions-Code, der die Befehle für die
Neuprogrammierung der Mini-Programme enthielt, konnte dupliziert,
modifiziert und mit Intelligenz versehen werden, und das Ganze
ließ sich dann in einen Scout verwandeln (so genannt, weil das
Programm alle Verbindungen abhörte und die Inhalte
weiterleitete). Scouts treiben in den Datenbussen wichtiger
Einrichtungen ihr Unwesen und hören die aus den Datenfragmenten
restaurierten Gespräche ab; dann erstellen sie Kopien dieser
Nachrichten und übermitteln sie an ihre Rigger.
    Ein Jahrzehnt nach dem Auftreten der ersten Scouts wurden die
menschlichen Rigger überflüssig. Sie wurden ersetzt durch
Programme, künstliche Intelligenzen, die selbst Wichtiges von
Unwichtigem zu

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