Die Mutter der Königin (German Edition)
heben die Leblose hoch, und vier Tage bewegt und rührt sie sich nicht, doch dann erwacht sie aus ihrer Erstarrung, steht langsam aus dem Bett auf und klopft sich ab, als wollte sie sichergehen, dass sie noch ganz ist. Erstaunlicherweise hat sie sich nichts gebrochen – sie hat sich weder den Schädel eingeschlagen noch auch nur einen Finger verrenkt. Als hätten Engel sie gehalten, als sie sich ihrem Element anvertraut hat. Das nützt ihr natürlich nichts. Bald erzählt man sich, dass nur der Teufel ein Mädchen retten konnte, das kopfüber von so einem hohen Turm gesprungen ist. Wenn sie gestorben wäre, hätten sie gesagt, Gottes Gerechtigkeit sei Genüge getan worden. Mein Onkel, ein mürrischer und praktisch veranlagter Mann, meint, der Boden sei nach dem wochenlangen Regen und der Überflutung durch den Wassergraben so aufgeweicht gewesen, dass ihr die größte Gefahr durch Ertrinken gedroht habe, aber nun hat er entschieden, dass sie uns sofort verlassen muss. Ohne die schützende Hand der Demoiselle will er die Verantwortung für die Jungfrau nicht länger tragen. Er schickt sie zunächst in sein Haus in Arras, und wir folgen ihr, als sie in der englischen Stadt Rouen vor Gericht gestellt wird.
Wir müssen daran teilnehmen. Ein großer Lord wie mein Onkel muss anwesend sein, um sich davon zu überzeugen, dass ihr Gerechtigkeit widerfährt, und sein Haushalt muss hinter ihm stehen. Meine Tante Jehanne nimmt mich mit, um das Ende der heiligen Führung des Dauphins mitzuerleben – der vorgeblichen Prophetin des falschen Königs. Halb Frankreich strömt nach Rouen, um das Ende der Jungfrau mitzuerleben, und wir müssen unter den Ersten sein.
Obwohl sie behaupten, sie sei nur ein wild gewordenes Bauernmädchen, gehen sie kein Wagnis ein. Sie wird in der Burg Bouvreuil gehalten, in Ketten, in einer Zelle mit doppelt verriegelter Tür und verbarrikadiertem Fenster. Alle haben Angst, sie könnte sich wie ein Mäuschen unter der Tür hindurchquetschen oder wie ein Vogel durch eine Ritze im Fenster davonfliegen. Sie soll ihnen das Versprechen geben, keinen Fluchtversuch zu unternehmen. Und als sie sich weigert, ketten sie sie ans Bett.
«Das wird ihr nicht gefallen», sagt meine Tante Jehanne traurig.
«Nein.»
Sie warten auf den Duke of Bedford, und in den letzten Dezembertagen marschiert er tatsächlich in die Stadt ein, mit seiner Eskorte in den Farben von Rosen, dem hellen Rot und dem Weiß Englands. Ein großer Mann hoch zu Ross, die Rüstung so poliert, dass sie glänzt wie Silber, das Gesicht unter dem gewaltigen Helm streng und hart. Seine Nase ist ein großer Zinken, was ihm das Aussehen eines Raubvogels verleiht, eines Adlers. Er ist der Bruder des großen englischen Königs Henry V., und er wacht über die Besitzungen, die dieser bei der großen Schlacht von Azincourt erobert hat. Jetzt ist der junge Sohn des verstorbenen Königs der neue Sieger von Frankreich, und Bedford ist dessen loyalster Onkel: immer gerüstet, immer im Sattel, niemals in friedlicher Mission.
Wir stehen alle am großen Tor von Bouvreuil Spalier, als er einreitet, und sein dunkler Blick gleitet über jeden Einzelnen von uns, als könnte er Verrat riechen. Meine Tante und ich sinken in einen tiefen Knicks, und mein Onkel lüftet seine Kappe und verbeugt sich. Unser Haus ist seit Jahren mit den Engländern verbündet. Mein anderer Onkel, Louis von Luxemburg, ist Kanzler des Herzogs, er schwört, Bedford sei der größte Mann, der Frankreich je regiert habe.
Schwer sitzt er ab, dann steht er wie eine Festung vor den Männern, die sich angestellt haben, um ihn zu begrüßen, die sich über seine Hand beugen oder sogar fast auf ein Knie niederlassen. Ein Mann tritt vor, und als Bedford ihm herrschaftlich von oben herab zunickt, geht sein Blick am Kopf des Vasallen vorbei und bleibt an mir hängen. Natürlich starre ich ihn an – seine Ankunft ist ein großes Spektakel an diesem kalten Wintertag –, doch jetzt erwidert er meinen Blick mit einem Funkeln, das ich nicht deuten kann. Es hat etwas von plötzlichem Hunger, so wie ein Fastender ein Bankett betrachtet. Ich trete zurück. Ich bin weder ängstlich noch kokett, aber ich bin erst vierzehn und möchte die Macht und das Feuer dieses Mannes nicht in meine Richtung lenken. Ich verberge mich hinter meiner Tante und beobachte den Rest der Begrüßung hinter ihrem Kopfschmuck und Schleier hervor.
Eine große Sänfte trifft ein, die dicken Vorhänge mit goldenen Kordeln gegen die
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