Die Mutter der Königin (German Edition)
jeden Tag auf Reisen, im Versteck oder auf dem Marsch, sie hat gelebt wie ein Bandit, wie ein Dieb, während er sich in ihren Gemächern im Westminster Palace aufhielt oder in einem Kloster betete, schwächlich wie ein Mädchen. Natürlich hat sie Angst, dass er wieder den Verstand verloren hat. Natürlich fürchtet sie, dass sie ihm einmal mehr vollkommen fremd ist. «Führt mich zu ihm.» Sie sieht mich an. «Kommt, Jacquetta. Reitet mit mir.»
Wir reiten weiter, und die verletzten und geschlagenen Soldaten machen uns mit gesenkten Köpfen Platz und heben die Hände, als fürchteten sie einen Schlag. Vor der Stadt sehen wir die Toten auf dem Schlachtfeld. In der Hauptstraße liegen Warwicks großartige Bogenschützen inmitten ihrer Bögen, die Köpfe von Streitäxten gespalten, die Bäuche von Schwerthieben aufgeschlitzt. Die Königin reitet mitten hindurch, blind für dieses Elend, und der Prinz reitet neben ihr, strahlt über unseren Sieg und hält sein kleines Schwert vor sich.
Sie haben ein Lager für die Königin aufgeschlagen, weit fort vom Grauen der Stadt. Die königliche Standarte flattert über ihrem Zelt, in dem eine große Kohlenpfanne brennt und der matschige Boden mit Teppichen bedeckt ist. Wir betreten das große Zelt, das ihr als Audienzzimmer dient. Dahinter wurde ein kleineres Zelt als Schlafzimmer aufgebaut. Sie setzt sich auf ihren Stuhl, ich stelle mich neben sie, der Prinz tritt zwischen uns. Zum ersten Mal seit Tagen wirkt sie unsicher. Sie sieht mich an.
«Ich weiß nicht, wie es ihm geht», sagt sie und legt dem Prinzen die Hand auf die Schulter. «Sollte es seinem Vater nicht gut gehen, dann führt Ihr ihn hinaus», flüstert sie mir zu. «Ich will nicht, dass er sieht …»
Das Tuch vor dem Eingang wird beiseitegezogen, und man führt den König herein. Er trägt Reitstiefel, ein langes warmes Gewand und darüber einen dicken Umhang, die Kapuze hat er noch über den Kopf gezogen. Hinter ihm, in der Türöffnung, erkenne ich Lord Bonville und Sir Thomas Kyriell, treue Männer, die meinem ersten Gemahl in Frankreich gedient haben. Sie hatten sich schon früh der yorkistischen Sache angeschlossen und während der Schlacht für die Sicherheit des Königs gesorgt.
«Oh», sagt der König vage und betrachtet die Königin und seinen Sohn. «Ach … Marguerite.»
Ein Zittern durchfährt sie, als sie genau wie wir anderen sieht, dass er wieder krank ist. Er kann sich kaum auf ihren Namen besinnen, und dem Prinzen, der vor seinem Vater niederkniet, um dessen Segen zu empfangen, schenkt er ein zögerliches Lächeln. Zerstreut legt Henry seinem Jungen die Hand aufs Haupt. «Ach …», sagt er. Diesmal sucht er in seinem verwirrten Kopf vergeblich nach dem Namen. «Ach … ja.»
Der Prinz erhebt sich und blickt zu seinem Vater auf.
«Dies sind Sir Thomas und Lord Bonville», sagt der König zu seiner Gemahlin. «Sie waren sehr freundlich zu mir.»
«Wie?», fährt sie auf.
«Sie haben mich unterhalten», antwortet er lächelnd. «Während sich all das abgespielt hat. Und der Lärm toste. Wir haben Murmeln gespielt. Ich habe gewonnen. Mir hat es gefallen, in all dem Lärm zu spielen.»
Die Königin richtet den Blick an ihm vorbei auf Lord Bonville. Er sinkt auf ein Knie. «Euer Gnaden, er ist sehr schwach», sagt er leise. «Manchmal weiß er nicht, wer er ist. Wir sind bei ihm geblieben, damit er nicht hinausspaziert und verletzt wird. Er verirrt sich, wenn man nicht auf ihn aufpasst. Und dann gerät er außer sich.»
Sie springt auf. «Wie könnt Ihr es wagen? Dies ist der König von England», sagt sie scharf. «Er ist wohlauf.»
Ihre zornige Miene lässt Bonville verstummen, doch Sir Thomas Kyriell hört sie kaum, er beobachtet den König. Er tritt vor, um den schwankenden Henry zu stützen, der aussieht, als würde er jeden Augenblick stürzen. Er führt den König zu dem verlassenen Stuhl der Königin. «Nein, ich fürchte, es geht ihm nicht gut», sagt er leise und hilft ihm, sich hinzusetzen. «Er kann einen Habicht nicht von einer Handsäge unterscheiden, Euer Gnaden. Er ist weit fort, Gott segne ihn.»
Bleich und zornig wirbelt die Königin zu ihrem Sohn herum. «Diese Lords haben deinen Vater, den König, gefangen gehalten», sagt sie. «Welchen Todes sollen sie sterben?»
«Tod?» Bonville blickt alarmiert auf.
Sir Thomas, der tröstend die Hand des Königs hält, sagt: «Euer Gnaden! Wir haben für seine Sicherheit gesorgt. Uns wurde freies Geleit versprochen. Er hat
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