Die Mutter der Königin (German Edition)
sagt er. «Könnt Ihr alleine hineingehen?»
Ich nicke. Meine Damen stellen sich hinter mir auf, und Richard geht vor mir her zu den Doppeltüren der großen Halle. Heute herrscht hier kein lärmendes Schmatzen: Wir sind in einem Trauerhaus. Die Wachen öffnen die Türen, und ich gehe hinein. Augenblicklich ersterben alle Gespräche, und Schweigen legt sich über die Halle. Dann rumpelt und klappert es, denn die Männer stehen auf und schieben Bänke und Schemel nach hinten. Sie nehmen ihre Kappen ab und stehen barhäuptig, als ich an den Hunderten und Aberhunderten vorbeigehe, die mir als der jungen Witwe des Herzogs ebenso ihren Respekt erweisen wie ihm, der gegangen ist, und sie bringen ihre Liebe und ihre Trauer über unser aller Verlust zum Ausdruck. Ich gehe durch die Reihen und höre sie flüstern: «Gott segne Euch, Mylady.» Ich gehe an ihnen vorbei bis zum Podest an der Stirnseite der Halle, wo ich allein hinter die hohe Tafel trete.
«Ich danke euch für eure freundlichen Wünsche», sage ich zu ihnen, und meine Stimme klingt unter den hohen Deckenbalken wie eine Flöte. «Mein Lord, der Herzog, ist tot, und wir alle spüren den Verlust. Euch allen wird der Lohn für den nächsten Monat ausgezahlt, und ich werde euch dem neuen Regenten Frankreichs als gute und vertrauenswürdige Diener empfehlen. Gott segne meinen Lord, den Herzog, und Gott schütze den König.»
«Gott segne meinen Lord, den Herzog, und Gott schütze den König!»
«Gut gemacht», lobt Woodville mich, als wir in meine privaten Gemächer zurückkehren. «Vor allem das mit dem Lohn. Und Ihr werdet sie sogar auszahlen können. Mein Lord war ein guter Herr, es ist genug in der Schatzkammer, um den Lohn zu zahlen und für einige der älteren Männer sogar eine Pension. Ihr seid jetzt eine äußerst wohlhabende Frau.»
In einer Fensternische bleibe ich stehen und sehe hinaus auf die dunkle Stadt. Ein Dreiviertelmond steigt auf, warmes Gelb vor dem indigofarbenen Himmel. Bei zunehmendem Mond wäre es Zeit, in Penshurst Kräuter zu pflanzen, doch dann wird mir klar, dass ich nie wieder nach Penshurst komme. «Und was macht Ihr?», frage ich ihn.
Er zuckt die Achseln. «Ich gehe nach Calais, und sobald der neue Kommandant ernannt ist, kehre ich nach England zurück, suche mir einen Herrn, den ich respektieren kann, und biete ihm meine Dienste an. Vielleicht werde ich nach Frankreich auf einen Feldzug geschickt. Wenn der König doch Frieden mit den Armagnaken schließt, diene ich ihm vielleicht an einem englischen Hof. Vielleicht ziehe ich auch als Kreuzritter ins Heilige Land.»
«Ich werde Euch nicht mehr sehen», sage ich, als ich verstehe, was das bedeutet. «Ihr werdet nicht mehr meinem Haushalt angehören. Ich weiß nicht einmal, wo ich leben werde, und Ihr könntet überallhin gehen. Wir werden nicht mehr zusammen sein.» Ich sehe ihn an.
«Nein», sagt er. «Unsere Wege trennen sich hier. Vielleicht sehen wir uns nie wieder.»
Ich ringe nach Luft. Der Gedanke ist so ungeheuerlich, dass ich ihn nicht fassen kann. Ich lache zittrig. «Das ist doch unmöglich! Ich sehe Euch doch täglich, jeden Tag sind wir zusammen spazieren gegangen oder ausgeritten, jeden Tag in den letzten zwei Jahren. Seit meinem Hochzeitstag. Ich habe mich an Euch gewöhnt …» Ich breche ab, denn ich möchte nicht schwach klingen. «Und wer kümmert sich um Merry? Wer beschützt sie?»
«Euer zukünftiger Gemahl?»
«Ich weiß es nicht. Ich kann es mir nicht vorstellen. Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, dass Ihr nicht mehr hier seid. Und Merry …»
«Was ist mit Merry?»
«Sie mag keine fremden Männer», sage ich töricht. «Sie mag nur Euch.»
«Mylady …»
Ich verstumme, so eindringlich ist sein Ton. «Ja?»
Er nimmt meine Hand, hakt mich unter und geht mit mir die Galerie hinab. Für meine Ladys, die hinten am Feuer sitzen, sieht es aus, als würden wir zusammen auf und ab gehen und die nächsten Tage planen, wie wir es immer getan haben, wir ständigen Gefährten: die Herzogin und ihr treuer Ritter. Doch dieses Mal legt er seine Hand auf die meine, und seine Finger brennen, als hätte er Fieber. Dieses Mal kommt er mir so nah, dass unsere Köpfe aneinanderstoßen würden, sähe ich zu ihm auf. Ich wende das Gesicht ab. Ich darf ihn nicht ansehen, sonst berühren sich unsere Lippen.
«Ich weiß nicht, was die Zukunft uns bringt», sagt er leise und gepresst. «Ich weiß weder, wen Ihr ehelichen werdet, noch was das Leben für mich
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