Die Mutter der Königin (German Edition)
fällt mir auf, was für blaue Augen er hat, aber schon verbeugt er sich und ist fort. Er hat sich kaum verabschiedet.
In kleinen Etappen setzen wir die Reise nach Rouen fort. Meinem Lord geht es nicht gut genug zum Reiten, und so reist er in einer Sänfte, neben der sein großes Schlachtross geführt wird. Es schreitet unruhig aus, unglücklich, mit leerem Sattel und gesenktem Kopf, als fürchtete es den Verlust seines Herrn.
Mein Lord liegt in der prächtigen Sänfte, die er für mich in Auftrag gegeben hat, getragen von weißen Maultieren, doch die Sänfte schaukelt so, dass er auf der langen Reise keine Ruhe findet. Es ist, als sähe man ein großes Ackerpferd am Ende eines langen Arbeitstages müde am Feldrand ankommen. Mein Lord hat keine Kraft mehr, und wenn ich ihn ansehe, ist mir, als spürte ich seine tödliche Erschöpfung in meinen jungen Knochen.
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Rouen
SEPTEMBER 1435
D en ganzen langen Sommer über versammelt mein Lord immer wieder seinen Anwalt und die Ratsmitglieder um sich, die ihm gedient und in den dreizehn harten Jahren seiner Regentschaft in Frankreich geholfen haben, die Geschicke des Landes zu lenken. Täglich treffen Gesandte von den Friedensverhandlungen in Arras ein, und mein Lord ruft sie zu sich, damit sie ihm berichten, ob es Fortschritte gegeben hat. Er bietet an, den jungen König mit einer französischen Prinzessin zu verheiraten, um den Konflikt über die Krone Frankreichs zu lösen, er bietet an, den ganzen Süden Frankreichs unter die Herrschaft der Armagnaken zu stellen – weiter zurückweichen kann er nicht. Doch sie fordern, dass die Engländer Frankreich verlassen, sie sprechen uns das Recht auf den Thron ab – als hätten wir nicht fast hundert Jahre darum gekämpft! Jeden Tag macht mein Lord neue Zugeständnisse und sucht nach einem neuen Weg, den Vertrag aufzusetzen, und jeden Abend, wenn er durch die Fenster der Burg den Sonnenuntergang beobachtet, ziehen seine Boten die Hauptstraße nach Arras hinab. Aber eines Abends sehe ich den Boten aus dem Stallhof sprengen und die Straße nach Calais einschlagen. Mein Lord hat nach Richard Woodville geschickt, und dann lässt er mich zu sich kommen.
Sein Anwalt bringt ihm das Testament, und er befiehlt letzte Änderungen. Seine Erbgüter fallen an seinen männlichen Erben, seinen Neffen, den jungen König von England. Er lächelt kläglich. «Ich bezweifele nicht, dass er es dringend braucht», meint er. «In der königlichen Schatzkammer ist kein Penny mehr. Und ich zweifele nicht daran, dass er es verschwenden wird. Er wird es viel zu schnell weggeben, er ist ein großzügiger Junge. Aber nach dem Gesetz gehört es ihm, und sein Rat wird ihm zur Seite stehen. Gott helfe ihm, wenn mein Bruder und mein Onkel ihn zugleich beraten.» Mir hinterlässt er den Witwenanteil: ein Drittel seines Vermögens.
«Mylord …», stammele ich.
«Es steht dir zu, warst mir eine gute Gemahlin. Es ist alles dein, so lange du meinen Namen trägst.»
«Ich habe nicht erwartet …»
«Nein, ich auch nicht. Ich habe wirklich nicht erwartet, so bald mein Testament machen zu müssen. Doch es ist dein Recht und mein Wille, dass du deinen Teil bekommst. Und mehr als das, ich hinterlasse dir meine Bücher, Jacquetta, meine schönen Bücher. Sie sollen dir gehören.»
Das sind wirkliche Schätze. Ich knie an seiner Bettseite nieder und lege meine Wange in seine kalte Hand. «Vielen Dank. Ihr wisst, dass ich darin lesen und sie gut behandeln werde.»
Er nickt. «In den Büchern steckt irgendwo die Antwort auf die Frage, nach der alle Männer suchen, Jacquetta. Das Rezept für ewiges Leben, für das reine Wasser, für die Herstellung von Gold aus dunkler Materie. Vielleicht wirst du es finden, lange nachdem ich von dir gegangen bin.»
Mir stehen Tränen in den Augen. «Sagt das nicht, Mylord.»
«Und nun geh, Kind, ich muss dies unterschreiben, und dann will ich schlafen.»
Ich knickse, schleiche aus dem Raum und lasse ihn allein mit seinem Anwalt.
Er gestattet mir erst am nächsten Abend, ihn wieder zu besuchen, und schon in dieser kurzen Zeit ist er schwächer geworden. Seine Augen sind trüber, die gebogene Nase sieht in dem eingefallenen Gesicht noch größer aus als zuvor.
Er sitzt in seinem Stuhl, groß wie ein Thron, und blickt zum Fenster hinaus, sodass er die Straße nach Arras sehen kann, wo man sich immer noch über den Friedensverhandlungen in den Haaren liegt. Durch das Fenster fällt das Abendlicht, in
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