Die Mutter der Königin (German Edition)
dem alles zu glühen scheint. Dies könnte sein letzter Abend sein, er könnte mit der Sonne untergehen.
«Hier habe ich dich zuerst gesehen, auf dieser Burg, erinnerst du dich?», fragt er mich mit dem Blick auf die Sonne, die in goldenen Wolken versinkt, und auf den blassen Geist des Mondes, der am Himmel aufsteigt. «Wir waren in der Eingangshalle dieser Burg, wegen des Prozesses gegen die Jungfrau.»
«Ich erinnere mich.» Ich erinnere mich nur allzu gut. Doch ich habe ihm nie Vorwürfe gemacht wegen Johannas Tod, auch wenn ich mir selbst welche mache, weil ich mich nicht für sie eingesetzt habe.
«Merkwürdig, dass ich hierhergekommen bin, um eine Jungfrau zu verbrennen, und eine andere gefunden habe», sagt er. «Sie habe ich als Hexe verbrannt, doch dich wollte ich wegen deiner Gabe. Merkwürdig. Ich wollte dich von dem Moment an, in dem ich dich gesehen habe. Nicht als Gemahlin, denn damals war ich mit Anne verheiratet. Als Schatz. Ich habe geglaubt, du besäßest die Gabe der Vorhersehung, ich wusste, dass du von Melusine abstammst, ich dachte, du könntest mir vielleicht den Stein bringen.»
«Es tut mir leid», sage ich. «Es tut mir leid, dass ich nicht begabter bin …»
«Ach …» Er macht eine wegwerfende Handbewegung. «Es sollte nicht sein. Vielleicht, wenn wir mehr Zeit gehabt hätten … aber du hast eine Krone gesehen, nicht wahr? Und eine Schlacht? Und eine Königin mit umgekehrten Hufeisen? Den Sieg meines Hauses und das Erbe meines Neffen und seiner Linie, die sich immer weiter fortpflanzt?»
«Ja», sage ich, um ihn zu beruhigen, auch wenn mir das alles nie klar vor Augen gestanden hat. «Ich habe Euren Neffen auf dem Thron gesehen, und ich bin sicher, dass er Frankreich halten wird. Er wird Calais nicht verlieren.»
«Bist du dir dessen sicher?»
Wenigstens das kann ich ihm versprechen. «Ich bin mir sicher, dass nicht er derjenige sein wird, der Calais verliert.»
Er nickt und sitzt eine Weile still da. Dann fragt er sehr leise: «Jacquetta, würdest du bitte dein Kleid ausziehen?»
Ich bin so überrascht, dass ich zusammenzucke und einen Schritt zurückweiche. «Mein Kleid?»
«Ja, und das Linnen, alles.»
Ich glühe vor Verlegenheit. «Ihr wollt mich nackt sehen?»
Er nickt.
«Jetzt?»
«Ja.»
«Ich meine, bei Tageslicht?»
«Im Sonnenuntergang, ja.»
Ich habe keine Wahl. «Wenn Ihr es befehlt, Mylord.» Ich öffne die Schnürung meines Oberkleides und lasse es zu Boden fallen, trete heraus und lege es schüchtern zur Seite. Dann nehme ich meinen verzierten Kopfschmuck ab und schüttele den geflochtenen Zopf auf. Jetzt fallen mir die Haare wie ein Schleier über das Gesicht, wie um mich abzuschirmen. Und dann schlüpfe ich aus meinen Leinenunterröcken und dem feineren Unterrock aus Seide und stehe vor ihm, nackt.
«Heb die Hände», weist er mich an. Seine Stimme ist ruhig, er betrachtet mich ohne Begehren, mit einer nachdenklichen Freude. Genau so sieht er Bilder, Tapisserien und Statuen an. Ich bin für ihn, was ich immer für ihn war: ein schönes Objekt. Als Frau hat er mich nie geliebt.
Gehorsam hebe ich die Hände über den Kopf, als wollte ich in tiefes Wasser springen. Tränen laufen mir über die Wangen. Ich war seine Gemahlin und seine Bettgenossin, seine Gefährtin und Herzogin, doch lieben kann er mich selbst jetzt, so kurz vor seinem Tode, nicht. Lieben wird er mich nie. Er bedeutet mir, dass ich mich etwas drehen soll, sodass die letzten Strahlen des goldenen Sonnenlichtes auf meine nackte Haut fallen und meine Hüften, meinen Bauch und meine Brüste in Gold tauchen.
«Ein Mädchen aus Flammen», sagt er leise. «Ein goldenes Mädchen. Ich bin froh, so etwas gesehen zu haben, bevor ich sterbe.»
Gehorsam stehe ich still, auch wenn mein Körper vor Schluchzern bebt. Im Moment seines Todes sieht er mich als Gegenstand, der in Gold verwandelt wird. Er sieht nicht mich, er liebt mich nicht, er will mich nicht um meiner selbst willen haben. Seine Augen wandern Zentimeter um Zentimeter über mich, gedankenverloren, träumerisch; doch meine Tränen bemerkt er nicht, und als ich mich wieder anziehe, wische ich sie still weg.
«Jetzt muss ich ruhen», sagt er. «Ich bin froh, so etwas gesehen zu haben. Sag ihnen, sie sollen mich zu Bett bringen, und dann schlafe ich.»
Seine Diener kommen herein und machen es ihm im Bett bequem. Ich küsse ihn auf die Stirn und lasse ihn allein. Und wie es das Schicksal will, ist dies das letzte Mal, dass ich ihn sehe,
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