Die Mutter der Königin (German Edition)
weit gekommen und haben so viel aufs Spiel gesetzt, damit er einem Wald-und-Wiesen-Kommandanten an der Spitze eines bunten Haufens von Aufständischen in die Falle geht und bei Sevenoaks ums Leben kommt? Ich hätte es doch bestimmt erfahren, wenn er verletzt wäre oder gar tot? Sicher hätte ich Melusines Gesang gehört oder gespürt, wie die Sphären schwermütig miteinander getanzt hätten, um ihn zu betrauern? Der Mann, den ich mein ganzes erwachsenes Leben lang geliebt habe – mit einer Leidenschaft, die ich niemals für möglich gehalten hätte –, kann doch nicht tot in Kent in einem Graben liegen, ohne dass ich es spüre?
«Geht es Euch nicht gut, Herrin?», fragt sie. «Ihr seid ja so weiß geworden wie meine Wäsche.»
«Wer hat die königliche Armee angeführt?», frage ich, obwohl ich weiß, dass er es war. Wen sonst würden sie schicken als Richard? Wer hat mehr Erfahrung, wer ist verlässlicher? Wer ist treuer und ehrenhafter als mein Gemahl? Wen würden sie wählen, wenn nicht meinen Liebsten?
«Ach, also, das weiß ich nicht», sagt sie fröhlich. «Ich weiß nur, dass er jetzt tot ist, mausetot. Geht es Euch nicht gut?»
«Nein, nein», sage ich. Meine Lippen sind taub. Mehr als dieses eine Wort bringe ich nicht heraus. «Nein. Nein.»
Wir schieben und drängen uns durch die engen Gassen. Ich kann hier nicht fort, selbst wenn ich das Pferd aus der Menge befreien könnte, weiß ich nicht, ob ich in der Lage wäre zu reiten. Ich bin schwach vor Angst, zu schwach, um die Zügel zu halten, selbst wenn die Menschenmenge es zulassen würde. Dann sind wir endlich am Bridgegate, und die Menge wird noch dichter und drängender. Meine Stute wird ängstlich, sie ist so eingezwängt, ihre Ohren zucken, und sie tritt von einem Huf auf den anderen, doch sie kann sich nicht vom Fleck rühren, und ich kann nicht absitzen. Der Bürgermeister springt auf einen Meilenstein, stützt sich dabei mit einer Hand auf der breiten Schulter eines Mannes von der Stadtwache ab und ruft der Menge zu: «Wollt ihr, dass Hauptmann Mortimer und seine Männer in die Stadt einziehen?»
«Ja!», brüllt die Menge. «Öffnet die Tore!»
Einer der Ratsherren will Einwände erheben, doch der Bürgermeister macht nur eine Geste, man möge ihn ohne viel Umstände entfernen. Die Wachen öffnen das Tor, und wir können durch den Torbogen bis hinter die Zugbrücke blicken. Auf der südlichen Seite wartet eine kleine Armee mit aufgerollten Standarten. Während ich zusehe, bemerken sie, dass das Tor aufgerissen wird, sie hören das anfeuernde Johlen der Meute, sehen die rote Robe des Bürgermeisters, entrollen ihre Banner und kommen in flottem Marschschritt die Straße herunter. Aus den oberen Stockwerken der Häuser werfen Menschen Blumen herab, schwenken Fahnen und jubeln: Dies ist der Triumphzug eines Helden. Die Zugbrücke wird heruntergelassen, und das Gerassel, mit dem sie aufgeht, erinnert an das Schlagen von Zimbeln für einen Eroberer. An der Spitze der Männer dreht sich der Hauptmann um, zieht sein Schwert und durchtrennt die Seile der Brücke, damit sie nie wieder gegen ihn hochgezogen werden kann. Um mich herum brechen alle in Willkommensrufe aus, die Frauen werfen Kusshände und kreischen. Der Hauptmann marschiert vor seiner Armee her, den Helm unter dem Arm, goldene Sporen funkeln an seinen Stiefeln, ein wunderschöner Umhang aus dunkelblauem Samt fällt von seinen Schultern, seine Rüstung schimmert. Vor ihm geht sein Edelknecht, ein Schwert in den ausgestreckten Händen, als führte er einen König, der in sein Königreich einzieht.
Ich kann nicht sagen, ob es Richards Schwert ist, ich weiß nicht, ob dieser Mann die hart erkämpften Sporen meines Gemahls trägt. Ich schließe die Augen und spüre den kalten Schweiß unter meiner Haube. Sollte er wirklich tot sein, sollte ich es wirklich nicht gespürt haben? Wird die Königin mich trösten, wenn ich zum Palast durchkomme – eine weitere Witwe bei Hofe, neben Alice de la Pole?
Der Bürgermeister tritt vor, verneigt sich vor dem Eroberer und überreicht ihm die Schlüssel zur Stadt auf einem scharlachroten Kissen. Ringsum stürmen Männer zum Stadttor hinaus, um sich den Soldaten hinter dem Hauptmann anzuschließen. Sie werden mit Schlägen auf den Rücken begrüßt, reihen sich ein und marschieren an uns vorbei, winken den Mädchen zu und grinsen über den Jubel wie eine lange erwartete Befreiungsarmee.
Die Menge folgt ihnen. Ich schwöre, wenn er am Kopf einer
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