Die Mutter der Königin (German Edition)
an die Lesepulte gebunden waren. Sogar die Federn und die Tintenfässer haben sie mitgenommen. Doch die Bücher sind noch da, unberührt. Sie haben alles gestohlen, was aus Metall war, aber nichts zerstört, was aus Papier ist. Ich schnappe mir einen schmalen Band und drücke ihn an meine Wange.
«Bringt sie in Sicherheit», befehle ich Cutler. «Sagt Euren Männern, sie sollen sie in den Keller tragen, ihn mit Brettern vernageln und eine Wache davorstellen. Die Bücher sind kostbarer als alle Messinggitter und Wandteppiche zusammen. Wenn wir die Bücher retten können, dann kann ich meinem ersten Gemahl am Tag des Jüngsten Gerichts getrost gegenübertreten. Sie waren sein Schatz, und er hat sie mir anvertraut.»
Er nickt. «Es tut mir leid, all dies hier …» Er deutet auf das verwüstete Haus, auf die von Schwerthieben zerschrammte Holztreppe. Der geschnitzte Aufsatz des Treppenpfostens wurde abgehauen und fortgeschleift, wie um mich stellvertretend zu köpfen. Die bemalten Balken an der Decke darüber sind rußgeschwärzt. Sie haben versucht, das Haus abzubrennen. Mich schaudert, als mir der Geruch in die Nase dringt.
«Wenn die Bücher und mein Gemahl in Sicherheit sind, dann kann ich von vorn anfangen», sage ich. «Verstaut die Bücher sicher im Keller, Cutler. Und nehmt auch den großen Wandteppich ab und alles andere von Wert, was Ihr noch findet. Gott sei Dank haben wir die besten Sachen mit nach Grafton genommen.»
«Was habt Ihr vor?», fragt er. «Baron Rivers wird sicher wollen, dass Ihr einen sicheren Ort aufsucht. Ich sollte Euch begleiten.»
«Ich gehe in den Palast», erkläre ich. «Ich gehe nach Westminster. Wir treffen uns dort.»
«Nehmt zwei Männer mit», rät er mir. «Ich packe hier alles weg. Und dann folgen wir Euch.» Er zögert. «Ich habe schon Schlimmeres gesehen», meint er. «Es sieht so aus, als wären sie aus einer Laune heraus hindurchgestürmt und hätten alles Wertvolle mitgenommen. Dies war kein gezielter Überfall. Ihr braucht keine Angst vor ihnen zu haben. Es galt nicht Euch. Die Leute werden von der Armut und Angst vor den Lords in die Verzweiflung getrieben. Sie sind keine schlechten Menschen. Sie ertragen es nur nicht mehr.»
Ich sehe mich in der rußgeschwärzten Halle um, betrachte die Stellen, wo einst die Teppiche hingen, und richte den Blick dann auf den abgeschlagenen Treppenpfosten. «Nein, es war ein gezielter Angriff», widerspreche ich langsam. «Sie haben getan, wozu sie gekommen sind. Er galt nicht mir persönlich, aber er galt den Lords, den Reichen, dem Hof. Sie glauben, sie müssten nicht mehr an den Toren warten, sie glauben, sie hätten andere Möglichkeiten als zu bitten. Sie meinen nicht mehr, dass wir ihre rechtmäßigen Herrscher sind. Als ich ein Mädchen in Paris war und den Duke of Bedford heiratete, hassten uns die Menschen in der Stadt, die Menschen in ganz Frankreich. Wir wussten es, und sie wussten es. Doch niemand hätte je geahnt, dass sie die Tore aufbrechen und hereinkommen und unseren Besitz zerstören könnten. Das glauben sie jetzt in London. Sie gehorchen ihren Herren nicht mehr. Wer weiß, wie weit das noch geht?»
Ich trete hinaus. Die Garde draußen hält mein Pferd, doch schon hat sich eine aufgebrachte Menschenmenge versammelt. «Ihr zwei, ihr kommt mit mir», sage ich zu meinen Männern. «Ihr beide geht rein und räumt auf.»
Ich schnippe mit den Fingern, und einer der Wachmänner hilft mir in den Sattel. «Rasch», dränge ich ihn flüsternd. «In den Sattel und los.»
Er tut es, und so sind wir vom Hof und ein Stück vom Haus entfernt, bevor irgendjemand merkt, dass wir fort sind. Ich schaue nicht zurück. Doch als ich die Straße hinunterreite, fallen mir die dunklen Rußflecken in der Halle meines Hauses ein, und mir wird bewusst, dass tatsächlich Menschen in mein Haus eingedrungen sind und mitgenommen haben, was sie wollten, und getan haben, wonach ihnen gerade der Sinn stand.
«Zum Westminster Palace», sage ich. Ich möchte jetzt gern bei Hofe sein, hinter den Mauern des Palastes, beschützt von der königlichen Leibgarde. London erscheint mir nicht mehr sicher. Ich bin wie die Königin geworden – unruhig im Herzen ihres eigenen Heims.
Wir biegen um die Ecke, und plötzlich werden wir von einer Menschenmenge mitgerissen, tanzenden, lachenden, jubelnden Menschen, einer großen, fröhlichen Jubelparade. Jemand packt mein Zaumzeug, und ich umklammere meine Reitgerte fester, doch das Gesicht, das zu mir
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