Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Mutter des Erfolgs - Die Mutter des Erfolgs

Titel: Die Mutter des Erfolgs - Die Mutter des Erfolgs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren:
Vom Netzwerk:
Kaviar. Du kannst viel Sauerrahm drauf tun.»
    «Das ist ja noch ekliger», sagte Lulu mit demonstrativem Schaudern. «Und nenn du mich nicht barbarisch.»
    «Mach uns nicht allen den Urlaub kaputt, Lulu.»
    «Du bist diejenige, die alles kaputtmacht.»
    Ich schob Lulu den Kaviar hin. Ich befahl ihr, ein Ei zu kosten – nur ein einziges Ei.
    «Warum?», fragte Lulu aufsässig. «Warum ist dir das so wichtig? Du kannst mich nicht zwingen, irgendwas zu essen.»
    Zorn wallte in mir auf. Konnte ich Lulu nicht einmal zu dieser Bagatelle mehr bewegen? «Du führst dich auf wie eins dieser verzogenen amerikanischen Bälger, die ausschließlich gekochte Nudeln essen. Probier jetzt ein Ei. »
    «Ich will nicht», sagte Lulu.
    « Tu es , Lulu, jetzt .»
    «Nein.»
    «Amy», begann Jed diplomatisch, «wir sind alle müde. Warum lassen wir nicht einfach …»
    Ich ignorierte ihn. «Weißt du, wie traurig und beschämt meine Eltern wären, wenn sie dich sehen könnten, Lulu – wie du in aller Öffentlichkeit nicht gehorchst? Mit dieser Miene noch dazu? Du beschädigst dich nur selber. Wir sind in Russland, und du weigerst dich, Kaviar wenigstens zu kosten? Bist du zu schwach, um deine Furcht zu bezwingen?Du bist wie eine Wilde. Und falls du dich jetzt für eine Heldin der Rebellion hältst, kann ich dir sagen: Du bist vollkommen gewöhnlich . Es gibt nichts Typischeres, Vorhersehbareres, Banaleres und Ordinäreres als einen amerikanischen Teenager, der alles ablehnt, was er nicht kennt. Du bist langweilig, Lulu – langweilig .»
    «Halt den Mund», sagte Lulu zornig.
    «Du wagst es, so mit mir zu reden! Ich bin deine Mutter!», zischte ich. Dennoch schauten ein paar Gäste zu uns herüber. «Du meinst wohl, du kannst Sophia mit deinem Verhalten beeindrucken.»
    «Ich hasse dich! ICH HASSE DICH.» Das, von Lulu, war nicht gezischt, sondern ein Schrei aus voller Kehle. Jetzt starrte das ganze Café zu uns herüber.
    «Du kannst mich nicht leiden», spie Lulu mir hin. «Du redest dir ein, dass du mich liebst, aber das ist eine Lüge. Sonst würdest du nicht dafür sorgen, dass ich mich jede Sekunde wie Scheiße fühle. Du hast mein Leben ruiniert. Bist du jetzt endlich zufrieden?»
    Mir schnürte es die Kehle zusammen. Lulu sah es, aber sie hörte nicht auf. «Du bist eine schreckliche Mutter. Du bist egoistisch . Dir ist jeder egal, nur du selber nicht. Was – kannst du schon wieder nicht glauben, wie undankbar ich bin? Nach allem, was du für mich getan hast? Alles, was du angeblich für mich tust, machst du nur deinetwegen.»
    Sie ist wie ich, dachte ich, zwanghaft grausam. «Und du bist eine schreckliche Tochter», sagte ich laut.
    «Ja klar – ich bin schließlich keine Chinesin! Und ich will auch keine sein – wieso geht das nicht in deinen Kopf rein? Ich hasse die Geige. Ich HASSE mein Leben. Ich HASSE dich, und ich HASSE diese Familie! Ich nehm jetzt dieses Glas und zerschlage es!»
    «Nur zu», forderte ich sie heraus.
    Lulu packte ihr Glas und schmetterte es auf den Boden. Wasser und Scherben spritzten, etliche Gäste schnappten nach Luft. Ich spürte sämtliche Blicke auf uns, diesem grotesken Spektakel.
    Ich hatte es mir zum Beruf gemacht, die Art von westlichen Eltern zu verachten, die ihre Kinder nicht im Griff haben. Jetzt hatte ich selbst das respektloseste, unflätigste, gewalttätigste, unkontrollierbarste Kind von allen.
    Lulu zitterte vor Zorn und hatte Tränen in den Augen. «Ich zerschlage noch mehr, wenn du mich nicht in Ruhe lässt», schrie sie.
    Ich sprang auf und rannte los. Ich rannte, so schnell ich konnte, ohne zu wissen, wohin, eine übergeschnappte sechsundvierzigjährige Frau, die einen Sprint in Sandalen hinlegte und weinte. Ich rannte vorbei an Lenins Mausoleum und einigen Wächtern mit Gewehren, die mich genauso gut erschießen konnten, dachte ich.
    Dann blieb ich stehen. Ich war am Ende des Roten Platzes angelangt. Weiter ging es nicht.

32     Das Symbol
     
    Familien haben oft ihre Symbole: einen See auf dem Land, Großpapas Orden, das Sabbatmahl. Bei uns war es die Geige.
    Für mich symbolisierte sie Leistung, Anspruch, Hochkultur – das genaue Gegenteil von Shoppingmeilen, extragroßem Cola, Teenagerklamotten und Konsumdenken. Im Unterschied zum iPod-Hören ist das Geigenspiel aktiv, anspruchsvoll, schwierig und fordert angestrengte Konzentration, Präzision und Interpretation. Selbst materiell ist alles an der Geige, das lackierte Holz, die geschnitzte Schnecke, der zarte Steg,

Weitere Kostenlose Bücher