Die Mutter des Erfolgs - Die Mutter des Erfolgs
anderen Ende einen Grund hat. Jetzt machte ich es selbst so. Ich war außer mir vor Sorge, und dass ich aufdringlich war, kümmerte mich nicht mehr. In der Woche nach dem Ende des zweiten Durchgangs rief ich Katrin jeden Morgen immer wieder an, und obwohl sie nie ans Telefon ging – dass ich es war, erkannte sie an der angezeigten Nummer –, hinterließich dauernd Nachrichten und nutzlose Informationen und hoffte, fröhlich und aufmunternd zu wirken.
Eines Morgens ging Katrin tatsächlich ans Telefon. Und hörte sich an, als wäre sie nicht mehr sie selbst. Ihre Stimme war so schwach, dass ich sie kaum verstand. Ich fragte sie, wie es ihr ging, aber sie seufzte bloß. Dann sagte sie: «Es ist sinnlos, Amy. Ich schaff’s nicht. Es gibt keine Hoffnung … Es gibt einfach keine Hoffnung», und ihre Stimme brach ab.
«Sei nicht dumm, Katrin. Es ist völlig normal, dass es so lang dauert, bis die Werte wieder nach oben gehen. Das kann manchmal Monate dauern. Jed hat das gerade recherchiert. Ich kann dir die Angaben schicken, wenn du willst. Und Or sagt, dass der Arzt extrem optimistisch ist. Warte einfach noch einen Tag.»
Weil keine Antwort kam, fing ich wieder an. «Lulu ist so ein Albtraum!», begann ich und erzählte ihr, um sie abzulenken, von der Geige und unseren Auseinandersetzungen und meinen Ausrastern. Bevor sie krank geworden war, hatten Katrin und ich oft über Erziehung gesprochen und festgestellt, dass es uns unmöglich war, dieselbe Autorität über unsere Kinder auszuüben wie unsere Eltern einst über uns.
Zu meiner Erleichterung hörte ich Katrin am anderen Ende lachen und mit normalerer Stimme sagen: «Die arme Lulu. Sie ist so ein nettes Mädchen, Amy. Sei doch nicht so streng mit ihr.»
Am 31. Oktober erfuhren wir, dass ein Spender gefunden war, ein Sino-Amerikaner, dessen HLA-Merkmale mit Katrins Merkmalen offenbar vollkommen übereinstimmten. Vier Tage später bekam ich ein Mail von Katrin, in dem stand: «Ich habe Neutrophile! Der Wert ist 100, und es braucht 500, aber hoffentlich steigt er.» Und er stieg – sehr langsam, aber er stieg. Anfang November wurde Katrin ausdem Krankenhaus entlassen, damit sie zu Hause wieder zu Kräften käme. Sie hatte genau einen Monat bis zur Knochenmarktransplantation, die unglaublicherweise noch einen weiteren Chemotherapie-Durchgang erforderte – diesmal die Mutter aller Chemotherapien, die ihr auf einer Spezialstation in völlig keimfreier Umgebung verabreicht werden und Katrins krankes Knochenmark endgültig ausmerzen sollte, damit das gesunde Mark des Spenders es ersetzen konnte. Aus dieser Station kommen viele Patienten nicht zurück.
Während des einen Monats zu Hause war Katrin selig. Sie genoss alles, was sie tun konnte – Ella füttern, mit den Kindern spazieren gehen, sie einfach nur schlafen sehen. Am liebsten sah sie zu, wenn Jake Tennis spielte.
Die Knochenmarktransplantation fand an Heiligabend statt. Meine Eltern und wir vier mieteten uns in einem Bostoner Hotel ein. Wir ließen uns chinesisches Essen kommen und feierten Bescherung zusammen mit Or, Jake und Ella.
30 «Hebräische Melodie»
Ein brandneues Jahr – 2009. Für uns begann es nicht allzu festlich. Aus Boston kamen wir ausgelaugt zurück. Es war anstrengend gewesen, Jake und Ella halbwegs in Feiertagsstimmung zu versetzen, während ihre Mutter nach einer Knochenmarktransplantation auf der Intensivstation lag. Noch quälender war der Umgang mit meinen Eltern. Meine Mutter ließ nicht davon ab, sich mit der immer gleichen Frage zu martern: Warum, warum, warum hat Katrin Leukämie? Ein paarmal fuhr ich sie scharf an und bereute es sofort wieder. Mein Vater stellte mir wieder und wieder dieselben medizinischen Fragen, die ich an Jed weiterleitete, und der erklärte ihm geduldig die Vorgänge bei einer Knochenmarktransplantation. Wir alle blickten dem neuen Jahr voller Schrecken entgegen.
In New Haven erwartete uns ein dunkles, eiskaltes Haus. Ein bösartiger Schneesturm mit rekordverdächtigen Windgeschwindigkeiten hatte etliche Fensterscheiben eingedrückt. Dann fiel der Strom aus, und wir waren eine Zeitlang ohne Heizung. Für Jed und mich begann ein neues Semester, wir mussten Vorlesungen vorbereiten. Und das Schlimmste: Die Geige wartete – Lulu hatte drei Konzerte vor sich –, und die Bat Mizwa. Zurück in den Schützengraben, dachte ich düster.
Lulu und ich sprachen kaum noch miteinander. Ihr Haar – kurz und trotz der Bemühungen der Frisörin immer
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