Die Mutter des Erfolgs - Die Mutter des Erfolgs
noch recht ungleichmäßig – war ein täglicher Vorwurf, und der Anblick verstimmte mich.
Ende Januar feierte Lulu ihren dreizehnten Geburtstag, und meine Schwester wurde aus dem Krankenhaus entlassen. In der ersten Zeit war Katrin so schwach, dass sie eskaum eine Treppe hinaufschaffte. Weil sie noch immer äußerst anfällig für Infektionen war, durfte sie ohne Schutzmaske weder in Restaurants noch in Lebensmittelgeschäfte, noch ins Kino. Wir alle drückten die Daumen und beteten, dass das neue Blut nicht ihren Körper angriff. In wenigen Monaten würden wir wissen, ob bei ihr die schlimmste denkbare Komplikation eingetreten war, die sogenannte GVHD (Graft-Versus-Host-Disease), also eine Abstoßung des fremden Knochenmarks, die tödlich sein kann.
Die Wochen vergingen, die Bat Mizwa rückte näher, und der Kampf zwischen Lulu und mir wurde erbitterter. Wie schon bei Sophia planten wir eine unkonventionelle Bat Mizwa bei uns zu Hause. Die Hauptverantwortung trug zwar Jed, aber ich war diejenige, die Lulu ständig in den Ohren lag, sie müsse ihren Haftarah-Abschnitt üben – auch wenn es um Hebräisch ging, war ich eine chinesische Mutter. Der heftigste Streit aber drehte sich wie immer um die Geige. «Hast du nicht gehört? Ich sagte, geh rauf und übe die ‹Hebräische Melodie› JETZT!», zeterte ich bestimmt tausendmal. «Es ist kein schwieriges Stück, und deshalb wird es misslungensein, wenn es nicht unglaublich bewegend ist.» Alternativ schrie ich sie an: « Willst du denn mittelmäßig sein? Ist es das, was du willst?»
Lulu konterte immer mit derselben Heftigkeit. «Nicht für jede muss die Bat Mizwa was Außergewöhnliches sein! Und ich will nicht üben», schrie sie zurück. Oder: «Ich trete nicht auf meiner Bat Mizwa auf! Das kannst du vergessen!» Oder: «Ich hasse die Geige! Ich will aufhören!» Der Lärmpegel in unserem Haus hätte alle Messgeräte gesprengt. Bis zum Morgen der Bat Mizwa wusste ich nicht, ob Lulu die «Hebräische Melodie» spielen würde oder nicht. Sie stand nur auf den Programmen, die Jed ausgedruckt hatte.
Lulu spielte. Sie fing sich wieder. Sie las ihre Torah- und Haftarah-Abschnitte souverän und sicher, und so, wie sie die «Hebräische Melodie» vortrug, wie sie den Raum mit Tönen erfüllte, die so herzzerreißend schön waren, dass manchen Gästen Tränen in den Augen standen, war allen klar, dass die Musik aus ihrem tiefsten Inneren kam.
Beim anschließenden Empfang begrüßte Lulu mit glühenden Wangen ihre Gäste. «Mann, Lulu, du bist wirklich irre mit deiner Geige, ich meine, total phantastisch », hörte ich eine ihrer Freundinnen sagen.
«Sie ist außergewöhnlich», staunte eine Freundin, die Sängerin ist. «Sie hat eindeutig eine Begabung, etwas, das ihr kein Lehrer je beibringen kann.» Als ich sagte, wie unheimlich schwer es sei, Lulu zum Üben zu bewegen, antwortete meine Freundin: «Du darfst nicht zulassen, dass sie aufhört. Sie wird es den Rest ihres Lebens bereuen.»
So war es immer, wenn Lulu Geige spielte – die Zuhörer waren von ihr gefesselt, und sie schien gefesselt von der Musik. Das machte es ja so verwirrend und unerträglich, wenn wir stritten und sie steif und fest behauptete, dass sie die Geige hasste.
«Gratuliere, Amy. Gott weiß, was aus mir geworden wäre, wenn du meine Mutter gewesen wärst», scherzte unsere Freundin Caren, eine ehemalige Tänzerin. «Ich hätte Spitze sein können.»
«O nein, Caren, mich wünschst du niemandem an den Hals», sagte ich. «Du weißt nicht, wie viel in diesem Haus geschrien und getobt wird. Ich war fast sicher, dass Lulu heute nicht spielt. Es war grauenhaft, sag ich dir.»
«Aber du hast den Mädchen so viel gegeben», beharrte Caren. «Ein Gefühl für Leistung, das über Schulnoten und Geige und Klavier weit hinausgeht. Schau doch, wie starkdeine Mädchen sind – sie wissen , dass sie was leisten können. Das bleibt ihnen fürs Leben.»
«Vielleicht», sagte ich zweifelnd. «Ich bin da nicht mehr so sicher.»
Es war eine tolle Party, alles amüsierte sich. Ein besonderer Höhepunkt war Katrins Besuch, die mit ihrer Familie kam. In den fünf Monaten seit ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus war Katrin langsam wieder zu Kräften gekommen, allerdings war ihr Immunsystem immer noch angegriffen, und wenn jemand nur hustete, wurde ich schon panisch. Katrin war dünn, aber sie sah hübsch aus und trug beinahe triumphierend ihre kleine Tochter auf dem Arm.
Am Abend, als alle Gäste fort
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