Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition)
von Antiochia bereits für tot. Ohne das Risiko, beim Volk Mitleid mit dem Gefangenen hervorzurufen, konnten sie so grausam und sorgfältig vorgehen, wie sie wollten.
Der Magier ging ans Werk und machte sich mit dem Messer an Balthasars Seite zu schaffen. Er hatte sich entschieden, damit zu beginnen, dem Opfer das Fleisch wegzuschneiden, Stück für Stück. Später würden sie zu anderen, weniger chirurgischen Methoden der Marter übergehen. Er fing gern mit den Flanken an – den Fleischstreifen, die von der Unterseite der Achselhöhlen bis zur Taille verliefen. Dort waren die Nerven sehr zahlreich, und es tat höllisch weh, wenn man sie aufschnitt und abschälte. Doch sie zu entfernen war nicht tödlich. Andere zogen es vor, mit dem Gesicht anzufangen und sich nach unten vorzuarbeiten. Zwar war es schmerzhaft und schockierend, das Gesicht entfernt zu bekommen, doch allzu oft auch tödlich.
Den Tod hinauszuzögern war so ähnlich, wie einen Orgasmus zu verlängern. Je näher man das Opfer an die Zielgerade bringen konnte, ohne sie zu überschreiten, desto besser. Der Kniff bestand darin, die Sache behutsam anzugehen. Dem Opfer Gelegenheit zu geben, sich von dem Schock zu erholen, es bei Bewusstsein zu halten, und genug Blut in seinem Körper zu belassen, damit es noch viele Tage überlebte. Das war der Trick. Das war gute Folter.
Balthasar schloss die Augen und stellte sich die Boote vor, die langsam vorbeitrieben. Er saß mit Abdi auf dem Schoß unter ihrem Lieblingsbaum. Der mit der Narbe an der Seite. Genau so eine wird gleich dein Bruder …
Aufhören.
Das war keine Hilfe. Denk an etwas anderes, Balthasar. Denk schnell an etwas anderes. Hol deine Gedanken aus diesem Raum hier. Hol sie weg von den Schmerzen. Er durchstöberte eine Reihe von Bildern, Wörtern, Erinnerungen, von allem Möglichen, auf der Suche nach der einen Sache, die stark genug war, sodass er sich daran festhalten konnte. Stark genug, um ihn sicher verankern zu können, sobald die Schmerzen riefen und versuchten, ihn zurück ins Jetzt zu ziehen. Versuchten, ihn zum Schreien zu bringen.
Balthasar sah hoch, vorbei an dem Seil, mit dem sein Handgelenk gefesselt war, vorbei an dem Holzbalken, der seinen Körper aufrecht hielt. Er sah vorbei an den Regenwassertropfen, die an der Decke über ihm wuchsen, und vorbei an der Decke selbst. Balthasar blickte jenseits des Palastdaches und über den Himmel hinaus, und er sah die eine Sache, an die er sich klammern konnte. Die eine Sache, die stark genug war, ihn in ihren Armen zu halten.
Der Mann mit Flügeln.
Balthasar sah wieder nach unten, während der Magier die Klinge dicht an seine Haut hielt und ihn mit der Erwartung von Schmerz neckte. Ihn mit jenen schwarzen Augen anstarrte. Balthasar erwiderte den Blick. Er war fest entschlossen, keinen Mucks von sich zu geben. Sich nicht zu winden, was auch geschehen mochte. Der Magier drückte das Skalpell knapp unter Balthasars linker Achselhöhle an die Haut. Fast ohne jeglichen Druck versank die rasiermesserscharfe Klinge, und dann zog er sie in einer langsamen, geraden Linie auf Balthasars Hüfte zu. Der Einschnitt war so hauchdünn, dass er zuerst nicht blutete. Einen Augenblick lang geschah nichts, dann quoll das Blut in schönen dunklen Perlen daraus hervor, die an seinem Körper hinabsickerten. Und während sie zu rinnen anfingen, hielt Balthasar sich fest, die Arme eng um den Mann mit Flügeln geschlungen.
Er blieb weiter still und reglos, selbst als die Klinge des Magiers an die obere Kante ihres Pfades zurückkehrte und einen Schnitt parallel zum ersten vollführte, dann beide Seiten oben und unten mit kleinen Schnitten verband. Balthasar gab noch nicht einmal ein Ächzen von sich, auch wenn er seine Zähne in seinem versiegelten Mund zu Staub zerknirschte. Er wand sich nicht. Und als Balthasar die Augen aufschlug, wurde er für seine Standhaftigkeit mit der finsteren Miene des Herodes belohnt. Offensichtlich enttäuschte die Darbietung des Gefangenen den König bisher. Der Mann mit Flügeln – Abdi – hielt Balthasar fest umschlossen.
Und dann ergriff der Magier die obere Seite des langen fleischenen Rechtecks und schälte sie nach unten, weg von Balthasars Körper. Und Balthasar wurde aus Abdis Armen geschält.
Er schrie.
Er schrie, während ihm die Seite aufgerissen wurde, angefangen unter der Achselhöhle und nach unten in Richtung seiner Hüfte. Er schrie, als Nerven und Kapillargefäße durchtrennt wurden, als Haut und Fett
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