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Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition)

Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition)

Titel: Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Seth Grahame-Smith
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genommen, ein goldenes Weihrauchfass aus dem Soreg zu stehlen«, sagte Caspar. »Wie sich herausgestellt hat, gebe ich keinen sehr überzeugenden Juden ab.«
    »Wir sollen morgen hingerichtet werden«, sagte Melchyor auf eine Art, die nahelegte, dass er noch nicht so ganz begriffen hatte, was das bedeutete.
    »Welch Zufall! Ich soll auch morgen hingerichtet werden« antwortete Balthasar.
    »Und du?«, meinte Caspar. »Was hast du angestellt, dass du als Gast von Herodes dem Großen endest?«
    Na schön.
    »Wenn ich es euch verrate«, sagte Balthasar, der sich an die gegenüberliegende Wand sacken ließ, »werdet ihr mich für einen Lügner halten.«
    »Ich halte dich bereits für einen Narren. Jeder Mann, der Nahrung und Wasser ausschlägt und sich stattdessen einen Priester wünscht, ist ein Narr.«
    Was macht es schon für einen Unterschied? Ich bin ein toter Mann. Sollen diese beiden doch ihre letzte Nacht auf Erden in dem Glauben verbringen, ich sei ein Lügner.
    »Ich bin der Geist von Antiochia.«
    Diese Bemerkung wurde mit respektvollem Schweigen quittiert, wie es stets geschah.
    »Schön, dich kennenzulernen«, sagte Caspar. »Ich bin Augustus Caesar.«
    Melchyor lachte schallend.
    »Glaubt mir, oder lasst es bleiben«, sagte Balthasar. »Das ändert nichts an der Tatsache, dass wir alle morgen früh gemeinsam sterben werden.«
    »Wenn du der Geist von Antiochia bist«, sagte Caspar, »wie kommt es dann, dass man dich gefangen genommen hat? Ich dachte, er sei so stark wie zehn Männer.«
    »Ich habe gehört, er sei zwei Meter vierzig groß«, sagte Melchyor.
    »Zwei Meter vierzig«, sagte Caspar, »und schneller als ein Pferd. Und dennoch bist du hier bei uns, ein Mann, der in seinen letzten Stunden den Trost eines Priesters benötigt.«
    »Seht mal, wenn es euch nichts ausmacht, würde ich gern einfach … eine Weile in Ruhe nachdenken.«
    »Aber bitte! Du wirst all deine Kraft brauchen, um die Kerkermauern einzureißen und uns zu befreien.«
    Während Melchyor erneut in schallendes Gelächter ausbrach, starrte Balthasar durch die Eisenstangen an der Ostmauer zu dem ungewöhnlich hellen Stern, der am Firmament hing. Ein Plan war ein Plan.-
    Selbst wenn es ein dummer Plan mit so gut wie gar keinen Erfolgsaussichten war.

»Man verachtet den Dieb nicht, wenn er stiehlt,
    um sein Leben zu fristen, weil er Hunger hat.«
    – Sprichwörter 6,30

Es gab etliche Methoden, jemanden zu bestehlen.
    Da war das Anrempeln : Dein Komplize stößt »versehentlich« auf einer menschenüberfüllten Straße mit dem Opfer zusammen. Und während er sich überschwänglich entschuldigt, begehst du den Diebstahl. Der Bettler : Das Opfer wird von deinem Komplizen – oder sogar noch besser, von mehreren Komplizen – von vorn mit Bitten um Geld bedrängt, während du ihm von hinten den Geldbeutel wegnimmst. Der Kampf : Zwei oder mehr Komplizen täuschen eine Schlägerei auf der Straße vor, und du bestiehlst die Schaulustigen, die stehen bleiben. Der falsche Arm, der Tausch, das Opfer, der Prophet . Um welche Methode es sich auch handelte, die Schritte waren immer die gleichen: ablenken, zuschlagen und verschwinden.
    Der erste Teil war einfach. Ein paar losfliegende Tauben, ein entfernter Schrei, eine vorübergehende schöne Frau – all das konnte einen Mann so lange ablenken, dass er sein Geld verlor. Und das Verschwinden war auch einfach, da die meisten Opfer minutenlang – sogar stundenlang – nicht wussten, dass man sie zu Opfern gemacht hatte. Doch der Diebstahl . Der Diebstahl war der springende Punkt. Das war der Teil, der Fingerfertigkeit und Übung erforderte. Das war die Kunst, und Balthasar war ein Künstler. Es gab etliche Methoden, jemanden zu bestehlen, sicher. Doch keiner in Antiochia stahl so gut wie er.
    Und er war erst zwölf Jahre alt.
    Nach sämtlichen Maßstäben der Zeit bereits ein Mann und längst ein routinierter Verbrecher – seiner Meinung nach der beste Taschendieb des Oströmischen Reiches. Im Alter von vier Jahren hatte er bei seinem ersten Diebstahl mitgeholfen, indem er als Komplize für die älteren Jungen fungierte. Mit sechs konnte er die Taschen einfach zu bestehlender Opfer – nämlich Betrunkene und Greise – selbst ausräumen. Mit acht hatte er seine eigenen Komplizen, von denen die meisten älter waren als er.
    Im Laufe der nächsten vier Jahre hatte Balthasar an seiner Kunstfertigkeit gefeilt. Hatte seine eigenen Methoden entwickelt, wie er Diebstähle einfädelte und die Opfer dazu

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