Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition)
zwei von drei Punkten. Der Mann trug reichlich Geld bei sich, und er war zweifellos abgelenkt – seine Blicke huschten herum, seine Sandalen klopften ungeduldig auf den Boden, während er den Geldwechsler anbrüllte, er solle sich beeilen. Er war ein Mann, der offensichtlich etwas vorhatte, und das war immer ein Pluspunkt. Das Problem bestand darin, dass er nicht allein war. Bei ihm war noch ein Grieche. Etwas jünger und etwas weniger abgelenkt.
Paare waren schlecht. Mathematisch gesehen verdoppelte sich die Chance, dass man geschnappt wurde. Doch es gab Wege, das Ganze zum eigenen Vorteil zu nutzen. Balthasar gab seinen beiden Komplizen – zwei kleineren Jungen, die auf der anderen Seite der Geldwechslerbuden warteten – ein Zeichen. Als er sicher war, dass sie das Opfer gesehen hatten, gab er ihnen ein weiteres Zeichen, indem er mithilfe der rechten Hand so tat, als hielte er einen Henkel umfasst.
Er hatte sich für das Verschütten entschieden, seine Standardmethode bei Paaren. Balthasar würde den beiden Griechen dicht folgen, während sie sich einen Weg über das volle Forum bahnten, und darauf warten, dass seine Komplizen zuschlugen. Wenn alles nach Plan verlief, würden die Jungen aus dem Nichts auftauchen und mit einem Krug Wein vorbeieilen. Sie würden ungeschickt mit den beiden Griechen zusammenstoßen und den kompletten Inhalt des Kruges über deren Gewänder verschütten. Und während die Männer an sich hinabblickten – während sie fluchten und schrien und den Jungen drohten, sie für ihre Tollpatschigkeit zu verprügeln –, würde Balthasar den Diebstahl begehen: hinten an dem Opfer vorübergehen, unmerklich ein kleines Messer auf den Geldbeutel des Griechen zugleiten lassen, den schmalen Lederriemen durchschneiden, mit dem er an dessen Gürtel befestigt war, und den Beutel an sich reißen, ohne auch nur im Geringsten seine Schritte zu verlangsamen. Das Opfer hätte keine Ahnung, was ihm zugestoßen war, abgesehen von dem verschütteten Krug Wein. Wenn es funktionierte, war es etwas Wunderschönes.
Und wenn nicht? Dann lief man weg.
Balthasar lief, so schnell ihn seine spindeldürren Beine trugen – was allem Anschein nach nur ein Hauch schneller war als die Griechen, die ihn verfolgten. Es war von Anfang an ein schlechter Diebstahl gewesen. Das Verschütten war unbeholfen abgelaufen, sodass nicht die Gewänder, sondern die Füße der Männer nass geworden waren. Schlimmer noch: Der Begleiter des Griechen war offensichtlich schon einmal Taschendieben zum Opfer gefallen. Sobald der erste Schock des verschütteten Weines verflogen war, überprüfte der jüngere Grieche sofort seinen eigenen Geldbeutel und sah sich dann um. Balthasar hatte den Diebstahl trotz des verhunzten Verschüttens durchgezogen. Unseligerweise war er erst ein paar Schritte weit gekommen, als er das gefürchtete »Hey! Du da!« vernahm.
Und so war er nun hier, beanspruchte seine zwölfjährigen Beine weit intensiver als eigentlich vorgesehen, während ihn zwei viel größere Griechen – auf vom Wein rot verfärbten Füßen – verfolgten und schrien: »Haltet den Jungen auf! Er ist ein Dieb!«
Wenn sie ihn fingen, bedeutete das den Verlust beider Hände, und zwar mindestens. Wahrscheinlicher war, dass man ihn umbringen würde, entweder durch Steinigen oder durch Enthaupten. Taschendiebstahl hatte entlang der gesamten Kolonnadenstraße und auf dem Forum überhandgenommen, und die Römer griffen hart durch. In einer römischen Stadt gab es keinen Platz für zügelloses Verbrechen. Genauso wie es keinen Platz für die ursprünglich hier einheimischen Syrer zu geben schien.
Er rannte nach Osten an einem der Kanäle entlang, die Frischwasser in das Stadtzentrum transportierten – Teil des Netzes aus Kanälen, Tunneln und Rohren, welche die von den Römern erbauten Aquädukte bildeten. Der Kanal war derzeit trocken, und es lagen Dreck und Stöcke und Abfall darin herum. Und genau deshalb folgte Balthasar ihm.
Das Viertel – wenn ich es bis in mein Viertel schaffe, bin ich gerettet … kann ich untertauchen.
Es gab Dutzende kleiner Dörfer, die sich am Stadtrand von Antiochia zusammenballten, so dicht, dass sie eine Art zweite Mauer um die bereits von einer Mauer umgebene Stadt bildeten. Es gab unglaublich reiche Bezirke, relativ reiche Bezirke, Mittelschichtbezirke und arme Bezirke. Und dann gab es da noch die syrischen Slums. Die Slums, auf die Balthasar jetzt zulief, den Tod auf den Fersen.
»Syrischer Abschaum!«,
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