Die myrrhischen drei Könige: Roman (German Edition)
erwogen – ganz besonders, nachdem sie in Hebron beinahe erwischt worden wären. Und als er mit angesehen hatte, wie der große Geist von Antiochia von einer Frau bewusstlos geschlagen wurde, hatte sich sein letztes Vertrauen in ihren furchtlosen Anführer in Luft aufgelöst. Besser einen Handel eingehen und überleben, als sich auf Gedeih und Verderb Balthasar ausliefern, dessen Glückssträhne offensichtlich zu Ende war.
»Man hat uns die Begnadigung angeboten«, sagte Melchyor, so einfältig und entschuldigend, dass man kaum umhin kam, Mitleid mit ihm zu haben.
Wenigstens dieser Teil stimmte. Als Caspar sich an die Römer gewandt hatte, wurde ihm angeboten, dass man Melchyor und ihn als Gegenleistung für den Geist von Antiochia und das Baby begnadigen würde.
»Sie haben uns die Begnadigung angeboten, wenn wir sie zurückführen zu …«
»Wohin zurückführen«, schrie Maria, »zu einem Säugling? Ihr seid nicht besser als die Männer des Herodes! Ihr beide!«
Melchyor wandte sich offensichtlich beschämt ab.
»Es tut mir leid«, sagte Caspar.
»Fahrt zur Hölle«, sagte Balthasar.
Es war nicht die weltbeste Beleidigung. Zumal Balthasar noch nicht einmal an einen solchen Ort glaubte. Doch unter den gegebenen Umständen brachte er nichts Besseres zustande. Angesichts einer ganzen Legion römischer Soldaten, die ihn anstarrten und das Haus umzingelten. Diesmal würde es keine wütenden Pilger geben, die ihnen im Kampf zu Hilfe eilten. Diesmal würden sie entweder gefangen genommen oder …
»Balthasar!«
Offensichtlich völlig verzweifelt sah Sela aus einem Fenster an der Seite des Hauses. Sie war sogar noch verzweifelter als alle anderen Anwesenden unter ihrem Dach. Balthasar und die anderen eilten zu ihr, spähten durch die Vorhänge und sahen, warum.
Sie werden uns verbrennen.
Ein paar römische Soldaten standen mit brennenden Fackeln bereit und warteten auf den Befehl. Ihr junger Kommandant saß auf seinem Pferd, und seine Blicke huschten zwischen dem Haus, das sie umzingelt hatten, und der langen dunklen Wolke hin und her, die tief am Horizont hing. Sandsturm , dachte er. Ein großer. Und er kommt näher.
Trotz der Schreckensvorstellungen der Flüchtlinge davon, lebendig verbrannt zu werden, hegte Pilatus nicht die Absicht, das Haus anzuzünden. Da drinnen befanden sich jüdische Fanatiker, und er wusste, wie Fanatiker dachten. Sie würden sich lieber Gott als Brandopfer darbieten, als sich einem gottlosen Römer wie mir zu ergeben. Nein, wenn er den Befehl zum Anzünden gab, würde er nur zusehen können, wie sie in den Flammen den Märtyrertod starben. Und was würde das nützen? Und der Geist von Antiochia? Wo war der Ruhm, wenn man ihn verbrannte? Pilatus wollte seinem Kaiser ein lebendiges, zitterndes Menschlein vorführen, keinen Haufen verkohlter sterblicher Überreste. Im Gegensatz zu Herodes hatte er nicht die Absicht, das Blut von Frauen und Säuglingen an den Händen kleben zu haben. Dieser Feldzug hatte ohnehin schon einen recht düsteren Beigeschmack.
Es war durchaus etwas Düsteres, ein neugeborenes Kind mit Schwertern und Speeren zu jagen. Doch Pilatus tröstete sich mit der Vorstellung, dass er seine Opfer lediglich ihren Richtern überstellte. Er war nicht dafür verantwortlich, was im Anschluss passierte. Unwohl war Pilatus bei dem Gedanken an den Magier. Die Art, wie er den Männern mit seinen seltsamen kleinen Ritualen Angst einjagte. Allein schon durch sein Erscheinungsbild. Die Macht, die er zu haben schien, Visionen aus der Luft heraufzubeschwören, Dingen Leben einzuhauchen, in die es eigentlich nicht gehörte. Die Art, wie er genau zu wissen schien, wohin ihre Opfer zogen. Dies war eine völlig andere Art von Düsterkeit. Eine, die jeder vernünftige Mensch fürchten würde. Doch in diesem Fall waren Pilatus die Hände gebunden. Augustus wünschte es so, folglich hatte es zu geschehen. Doch Pilatus hatte versucht, den kleinen Mystiker des Kaisers an die Kette zu legen – ihn »zu seiner eigenen Sicherheit« isoliert zu halten. Unter Bewachung, allein in seinem Zelt. Meilenweit entfernt von ihrem jetzigen Standor…
Aufhören.
Pilatus ertappte sich dabei, wie seine Gedanken abschweiften, und rief sich wieder zur Ordnung. Das Bild des Magiers war ihm aus dem Nichts in den Sinn gekommen und hatte ihn von seiner vorliegenden Aufgabe abgelenkt. Als er sich wieder konzentrierte, bemerkte er, dass die Fackeln tragenden Soldaten mit ausdruckslosen Mienen auf das Haus
Weitere Kostenlose Bücher