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Die Nachhut

Die Nachhut

Titel: Die Nachhut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Waal
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Bundesregierung konnte schließlich nicht auch noch als Veranstalter auftreten.
    Als sich endlich ein kleiner Verein gefunden hatte, lag die Anmeldung der Nazis schon beim Ordnungsamt, was ein echtes Problem war, mit dem sich seit Tagen mehrere Instanzen von Verwaltungsgerichten im Eilverfahren beschäftigten. Immerhin ging es um Demonstrationsfreiheit, Demokratie und Grundgesetz, all die schönen Dinge, zu deren Verteidigung man antreten wollte und die man den Bösen aus ebenso grundsätzlichen Erwägungen nicht zugestand. Doch Wolf fegte auch das mit leichter Hand vom Tisch, indem er gar nicht näher darauf einging:
    »Die sollen ruhig kommen«, sagte er nur, »dann werden wir gleich mal sehen, wem die Straße gehört!«
    »Soll das ein Aufruf zur Gewalt sein?«, insistierte der gleiche Journalist, »nicht dass es einen überraschen würde ...«
    Trotz der plumpen Anspielung auf seine Vergangenheit blieb Wolf Jäger äußerlich ruhig. Nur wer ihn kannte, konnte die namentliche Ansprache des Querulanten richtig einordnen: Er hatte diesen Kerl gefressen, vermutlich schon länger.
    »Ich bitte Sie, Herr Seemann, wollen Sie jetzt auch noch ihre letzten Leser mit diesen alten Geschichten vergraulen?«
    Wieder johlten alle. Seemanns Kollegen wussten natürlich vom Überlebenskampf seines Blattes. Es war nicht besonders fair, aber Wolf musste sich von diesen Wadenbeißern schließlich auch nicht alles gefallen lassen.
    Einer seiner Referenten ließ die Fenster verdunkeln und Wolf Jäger kündigte das Ergebnis eines Wettbewerbes an, den die Regierung für den besten Werbespot für mehr Zivilcourage aus gelobt hatte. Angeblich hatte sich jede Werbeagentur beteiligt, die etwas auf sich hielt. Gewonnen hatten trotzdem die drei blöden Affen, die sich zwar diesmal nicht mehr nur Augen, Ohren und Mund zuhielten, sondern einem Artgenossen zu Hilfe eilten - aber aus grafischen Gründen, so hatten es mir die Kreativen erklärt, unbedingt schwarz sein mussten. Ich hörte meine Pappenheimer jetzt schon über die »Bimbos« der Gutmenschen feixen. Als einzelnes Jurymitglied hätte ich gegen die Haus- und Hofagentur des Auswärtigen Amtes allerdings wenig ausrichten können.
    Während der Siegerspot noch lief, beugte sich Wolf zu mir.
    »Ich muss los. Kommst du alleine klar?«
    »Klar«, flüsterte ich und lächelte zwanghaft zurück.
    »Und mach bitte heute und morgen noch mal richtig Druck wegen den Alten. Du weißt, worum es geht!«
    »Sicher. Im Moment scheinen sie ja wie vom Erdboden verschluckt. Wäre doch auch gut, wenn das so bleibt, oder?«
    »Scheinen und wäre - das ist alles viel zu vage, Evelyn! Schiller sagt, es gebe eine neue Spur in Hessen.«
    »Ach ja? Schön, dass ich das auch mal erfahre! Wo steckt der Kerl überhaupt? Und wo wir einmal dabei sind: Wieso dürfen wir eigentlich diesen Böttcher nicht vernehmen?«
    Einer seiner Referenten drängelte und zeigte auf die Uhr.
    »Schiller ist in Wiesbaden«, sagte Wolf schon im Stehen.
    »Beim BKA? Wieso denn? Etwa wegen dieser alten Waffe?«
    »Sony, Evelyn, ich muss jetzt wirklich. Schiller wird dir alles sagen. Ich glaube, er ist schon auf dem Rückweg.«
    Noch bevor die Journalisten ihre Aufmerksamkeit wieder dem Podium widmeten, war Wolf mit seinem Gefolge verschwunden. Nun war ich an der Reihe, sozusagen als lebendiger Beweis für die neue Ernsthaftigkeit im Kampf gegen Nazis. Tagelang hatten PR-Experten an der Dramaturgie dieser Show gefeilt. Ich hatte angeboten, ein echtes Opfer aus der Provinz mitzubringen, aber das wollten sie diesmal lieber nicht. Es hatte sogar noch Ärger gegeben, weil ich vorher kein Redemanuskript abgeben wollte. Trotzdem kündigte mich der Pressesprecher des Außenministeriums nun wie einen Popstar an. Sie waren eben alle Profis. Außer mir.
    Meinen Standardvortrag hatte ich im Kopf, ein paar Zahlen, über 100 Todesopfer seit der Wiedervereinigung - verbrannt, zu Tode gehetzt, erschlagen. Die Fakten waren noch nie das Problem. Wolfs PR-Leute rissen dennoch entsetzt die Augen auf. Er selbst muss geahnt haben, dass ich auch vor ausländischen Korrespondenten kein Blatt vor den Mund nehme. Oder hatte er es nur wegen der aktuellen Fragen so eilig gehabt, die für den Schluss vorgesehen waren und sich natürlich nur einem Thema widmeten?
    Zum Glück war ich auch dafür präpariert: Vor allem Leute wie Seemann, so hatte man mir erklärt, ließen eine Gelegenheit wie die Bunkerstory selten aus, um sich mit polemischen Fragen vor ihren Kollegen zu

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