Die Nachhut
auf.
Offenbar gehörte es zu den Ritualen der Bundespressekonferenz, dass sie einer von den Überregionalen auf diese Weise für beendet erklärte. Der Pressesprecher schaute mich an. Ich nickte. Dann bedankte er sich noch für die Aufmerksamkeit, um wenigstens den Anschein der Form zu wahren.
Busch blieb einfach sitzen, während sich der Saal schnell leerte. Du warst mit dem Stativ beschäftigt. Er aber fixierte mich, als hätte er uns bereits durchschaut oder wäre kurz davor. Ich konnte unmöglich länger zögern und auf gar keinen Fall noch einmal mit euch alleine sprechen, nicht hier.
Hastig folgte ich den Referenten nach hinten, ließ mich in einem Vorraum auf den nächsten Stuhl fallen und fühlte mich wie die Versagerin vom Dienst: von Jagemann. Wieso war mir das nicht selbst aufgefallen? So häufig war der Name doch nicht! Der Einsatzgruppen-Mörder selbst konnte es unmöglich sein. Ein Verwandter? Sein Sohn? Wie lange brauchten eigentlich die verdammten Unterlagen aus dem Bundesarchiv, die mir Wolf schon vor zwei Tagen versprochen hatte, von einer Behörde zur anderen? Was wusste Busch oder hatte er nur geblufft?
»Na, alles in Ordnung?« Schiller saß plötzlich neben mir und schaute mich besorgt von der Seite an. Am meisten erschrak ich allerdings darüber, dass er irgendwie gut roch.
»Ich glaube nicht. Hast du den Rest noch gehört?«
»Ja«, sagte er, »die Frage ist, woher die das schon wieder wissen?« Für einen Moment verengten sich seine Augen, als hätte er mich im Verdacht: »Und was sie draus machen.«
»Was soll das heißen? Wissen wir denn, dass dieser Fritz ...«
Schiller nickte nur. Ich sprang auf.
»Das glaub ich jetzt nicht! Wieso sagt mir das keiner?!«
»Reg dich nicht auf. Ich weiß es auch erst seit kurzem.«
»Seit wann?«
Er wich meinem Blick aus und sah stattdessen auf seine Uhr.
»Vier, fünf Stunden. Seine Schwester in Wiesbaden ist in gewissen Kreisen jedenfalls keine Unbekannte. Gilt dort als Heldentochter. Nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes engagiert sie sich auch für so genannte politische Gefangene. Sie könnte also durchaus hinter der ganzen Nummer stecken.«
»Laut Verfassungsschutz. Und was sagt sie selbst dazu?«
»Nichts. Die feine Madame spricht nicht mit jedem. Verlangt ein Gespräch mit Jäger!« Er tippte sich an die Stirn: »Ist wahrscheinlich auch nicht mehr ganz frisch im Kopf, die Gute!«
Sollte dieses »auch« eine Anspielung sein? Und wenn ja: Hatte er damit die vier alten Männer gemeint oder etwa mich?
»Und wo ist sie jetzt?«
»In Sicherheit.«
»Wie - in Sicherheit ? «
»Wir haben sie mit nach Berlin gebracht.«
»Verstehe. Eine Art Familienzusammenführung, falls Fritz doch noch hier auftaucht.«
Schiller kicherte herzhaft: »Gott bewahre! Aber der war nicht schlecht. Wenigstens hast du noch Humor.«
»Warum denn sonst?«
»Damit es nicht noch größere Kreise zieht. Jäger wollte das so: Wenn sie schon nicht mit uns spricht, dann soll sie auch mit keinem anderen reden, womöglich noch mit dem Fernsehen. Dieser Busch hat auch schon seine Fühler nach Wiesbaden ausgestreckt. Sie selbst hält es für einen netten Ausflug.«
»Ihr seid wirklich das Letzte.«
»Du meinst: wir. Im Ernst, Evelyn: Nur so haben wir das unter Kontrolle. Nicht auszudenken, wenn die sich begegnen und irgendein Altnazi-Spektakel daraus wird. Das fehlte noch, ausgerechnet jetzt. Aber die Pressekonferenz kam gut. Ich meine: Respekt, wirklich! Dass der Bunker keinen mehr interessiert, verschafft uns etwas Luft. Jetzt müssen wir sie nur noch finden. Wenn sie erstmal in der Stadt sind, wird es schwierig.«
Sein Lob kitzelte angenehm. »Und beim BKA«, fragte ich fast versöhnlich, »was war nun mit dem Anschlag auf der Autobahn?«
»Ach ja, gut dass du fragst«, sagte Schiller, »die Knarre hatte nichts mit dem Unfall zu tun. Steinschlag, Schotter - die Bundesanwälte stellen jedenfalls die Ermittlungen ein.«
»Wie bitte? Und die Projektile? Schiller, ich bitte dich!«
Er zuckte mit den Schultern. »Kommt von ganz oben. Offizielle Lesart. Vielleicht wegen der Amerikaner. Keine Ahnung.«
Es war wirklich nicht zu fassen - andererseits aber auch ein Problem weniger für uns.
2. April Wie wir den Kessel der schwer belagerten Hauptstadt durchbrochen haben, kann ich an dieser Stelle aus Rücksicht auf unsere Helfer nicht im Detail verraten. Nur so viel: Es geschah am helllichten Tag, und war ein kleines Husarenstück. Ob es sich gelohnt hat, ist eine
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