Die Nachhut
profilieren. Unsere Strategie sah deshalb vor, den schwarzen Peter pauschal an die Medien zurückzuspielen. Immerhin hatten die damit angefangen und den Unsinn erst hochgejubelt, der zwei Tage alle Titelseiten und Nachrichtensendungen beherrscht und sich genauso schnell wieder verflüchtigt hatte. Nur bei den Engländern liefen die Bilder nach wie vor im Fernsehen. Die standen auf solches Zeug, egal ob Fake oder nicht. Mit Matti war außerdem abgesprochen, dass sein Sender alles auf sich nehmen würde. Wir mussten ihn nicht mal besonders schonen: Eine Ente und fertig. Alle gingen davon aus, das würde die Meute am ehesten beruhigen. Und natürlich war auch auf Seemann Verlass:
»Frau Thorwart, was machen die Ermittlungen im Fall Grimm?«
»Einen Fall Grimm gab es nie«, antwortete ich kühl, »den haben erst Sie und ihre Kollegen daraus gemacht.«
Der Pressesprecher sah sich nach weiteren Wortmeldungen um, aber Seemann sprang gleich noch einmal für seine Kollegen ein:
»Noch mal Klartext: Den Bunker gibt es also gar nicht?«
»Sieht so aus«, sagte ich, »im Moment jedenfalls.«.
Immer schön vage bleiben, hatten die PR-Leute geraten, im Zweifel alle Türen offen halten. Doch Seemann gab nicht auf.
»Aber Professor Zeitz hat die Anlage doch identifiziert.«
»Die Hinweise des verehrten Professors haben uns leider in keiner Weise weitergeholfen - und so viel kann ich auch verraten: Es lag nicht an unseren Ermittlungen.«
Seemann bedankte sich mit einem falschen Lächeln. Ich lächelte ebenso zurück. Der Seitenhieb auf Zeitz war nicht abgesprochen, aber etwas Spaß musste man mir schon auch gönnen.
»Und warum dann überhaupt der ganze Aufwand?«
Das war nicht mehr Seemann, und ich brauchte einen Augenblick, um Gerd Busch im Saal zu finden. Er selbst war sitzen geblieben. Hinter seiner Kamera entdeckte ich dich.
»Es ist nun mal unsere Aufgabe, allen Hinweisen nachzugehen, auch wenn sie noch so aberwitzig sind. Immerhin bestand der Verdacht auf die Betätigung in einer verfassungswidrigen Organisation, Volksverhetzung und andere Propagandadelikte.«
»Ja, und weiter? Was ist damit? Wo sind die Täter?« Busch schnippte dazu mit den Fingern: »Alles nur heiße Luft?«
Dass ausgerechnet ihr eine dicke Lippe riskiertet, überraschte mich schon. Alle Zeitungen, sogar andere Fernsehsender hatten an diesem Morgen nicht mit Häme für Kanal 5 gespart. Der Senderchef persönlich hatte sich in einer Pressemitteilung entschuldigt und damit seine eigenen Leute verraten. Entweder wusste es Matti wirklich nicht besser - oder Wolf hatte auch ihn eingeschworen. Fast tat es mir leid für euch beide: So weit war es schon wieder, dass sich Chefredakteure einspannen ließen, wenn es um das Große und Ganze ging. Aber die Sache verlangte nun mal alle nötige Härte, auch von mir.
»Also wissen Sie, Busch: An Ihrer Stelle wäre ich froh, dass wir uns nicht auch mit Ihnen beschäftigen. Das Verbreiten von strafbaren Inhalten ist genauso strafbar.«
Der Saal raunte. Ob aus Zustimmung oder Protest gegen die offene Drohung an Kollegen war schwer einzuschätzen. Tatsächlich hatten wir uns natürlich längst auf euch konzentriert. Schiller ließ eure Wohnungen beschatten, horchte Freunde aus und Telefone ab. Letztlich wart ihr unsere einzige Spur. Als Busch noch einmal Anlauf nahm, sah ich einige seiner Kollegen in der ersten Reihe die Augen verdrehen. Offenbar funktionierte der Trick mit der namentlichen Anrede auch bei mir. Busch allerdings kannte ihn auch:
»Zwei Fragen hätte ich noch, Frau Thorwart: Was hat der Busunfall auf der A 24 mit dieser Sache zu tun?«
»Ein Unfall? Welcher Unfall? Da müssen sie schon die Kollegen von der Verkehrspolizei fragen. Sonst noch was?«
Die Lacher auf meiner Seite irritierten Busch leider nicht:
»Sagt Ihnen der Name Carl Otto von Jagemann etwas?«
Auf einmal war der Saal wieder hellwach. Ich auch. Und ohne die Fotografen und Kameras hätte ich mir vermutlich mit beiden Handballen an die Stirn geschlagen, bis es geblutet hätte.
»Natürlich«, antwortete ich stattdessen so ruhig wie möglich, »ein Kriegsverbrecher der übelsten Sorte. Und weiter?«
»Nichts weiter«, sagte Busch kühl, »ich wollte nur wissen, ob Sie das wissen. Vielen Dank.«
Er grinste frech und ignorierte seine Kollegen, die sich zu ihm umdrehten wie zu einem Geistesgestörten.
»Gute Frage, Busch, wirklich«, sagte Seemann und ließ seinen Kugelschreiber im Jackett verschwinden. Dann stand er
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