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Die Nachhut

Die Nachhut

Titel: Die Nachhut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Waal
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er, Jugendschutz und so. Dann knallt er das Fensterchen wieder zu.
    Dresscode? Darkruhm? Josef wiederholt die Worte verstört. Mein Englisch reicht auch nur für hilflose Versuche: Dresscode könnte eine Anzugsordnung meinen, so was wie Felddienst Winter oder Ausgangsuniform. Aber Darkruhm?
    Room oder Ruhm? Raum und Ehre? Dunkelheit? Oder Rum, dunkler Rum? Es hat keinen Zweck.
    Trau keinem über 80, ich weiß schon, Evelyn, und alle unter 30 sind genauso anfällig. Aber dass ich mich mit Fritz deshalb blendend verstanden hätte, kann man wirklich nicht sagen. Zu groß war die Enttäuschung - ich schätze mal auf beiden Seiten.
    Wir hatten sie tatsächlich vor dem Frisör aufgelesen, einem finsteren Leder-Club im Epizentrum der schwulen Hauptstadt. Alberne Uniformen oder schräge Vögel fielen rund um die Eisenacher Straße kaum auf. Aber wie sie da standen, vermutlich seit Stunden, wirkten sie sogar in dieser Gegend wie Außerirdische: Josef hockte auf der Ladenschwelle, während Fritz an der Hauswand klebte, als wollte er sich unsichtbar machen, ängstlich, verstört. Schon der normale Straßenverkehr schien sie zu überfordern.
    Weder überrascht noch zu irgendeinem Widerspruch in der Lage ließen sie sich abschleppen. Bis zu meiner Wohnung waren es nur drei Minuten zu Fuß. Gerd schob zwar immer noch seine Beschattungsparanoia, aber es war ja nur die Bude einer Freundin, die sie von einem Typen übernommen hatte, der ursprünglich auch nur Untermieter war und in dessen Namen ich unbekannterweise Miete überwies. Polizeilich umgemeldet hatte ich mich nie. Schon wegen der GEZ. Gerd fand das trotzdem zu riskant und wollte sich um einen besseren Unterschlupf kümmern, sobald wir herausgefunden hätten, was sie selbst vorhatten.
    »Und jetzt«, fragte ich noch auf dem Weg.
    Doch Fritz starrte nur stur auf den Fußweg, als hätte er in den letzten Stunden schon genug von der Hölle gesehen. Und Josef schienen ebenfalls andere Sorgen zu plagen.
    »Was ist Darkruhm?«
    »Ein Darkroom?« Busch kicherte albern: »Tja, wie soll ich das erklären: Da trifft man sich im Dunkeln und dann geht es zur Sache. Verstehst du? Männer unter sich.«
    Fritz riss den Kopf nach oben. Alles in seinem Gesicht zog sich in die Breite, als hätte er in eine Zitrone gebissen. Nicht auszudenken, was er dachte. Josef dagegen dachte nach.
    »Sie meinen, es werden nur Herren bedient? Das war bei uns nicht anders. Aber wieso im Dunklen? Wegen der Feindbomber?«
    »Der Frisör ist kein richtiger Frisör mehr«, sagte ich und wollte es dabei belassen: »Glaub es uns einfach!«
    Ein paar hundert Meter vor meinem Haus wollte Busch, dass wir uns teilen. Er lief mit Josef den Block zweimal ab und schaute in jeden Wagen, bevor sie in seinen Van stiegen. Ich nahm Fritz gleich mit zu mir nach oben.
    »Haben sie die Kiste noch«, fragte er und sah sich misstrauisch zwischen alten Kartons und Schallplattenstapeln um.
    »Natürlich, die Tasche auch. Sie müssen die Unordnung entschuldigen, ich habe nicht mit Besuch gerechnet.«
    Als wenn das einen Unterschied machen würde. In einer Ecke meiner Bude fand ich einen Sack mit ausrangierten Klamotten. Er stand bestimmt schon zwei Jahre dort, aber nachdem ich mich einen Tag lang damit gequält hatte, was wirklich weg konnte, hatte ich nicht auch noch die Kraft aufgebracht, den Sack zum Altkleidercontainer zu bringen.
    Fritz war dagegen ein Mann der schnellen Entscheidung: »Ausgeschlossen«, sagte er, als ich die Sachen auf meiner Couch ausbreitete. Dabei waren die meisten Teile noch gar nicht so schlecht. Ich entdeckte ein Hemd wieder, das Anfang der 90er mal mein absoluter Favorit gewesen war. Hosen, Jacken, Schuhe, alles noch in Ordnung und tragbar - für Leute, die sonst auch nicht gerade auf der Höhe der Zeit waren, allemal. Fast fand ich es ein wenig beleidigend, wie Fritz sich aufführte.
    »Warum wollen Sie den alten Filz unbedingt anbehalten?«
    »Warum nicht? Es gibt keinen Grund, sich dafür zu schämen.«
    »Es gibt tausend Gründe. Millionen. Davon abgesehen können Sie sich sonst auch gleich ein Schild um den Hals hängen: Hier sind wir, sperrt uns ein! Sobald es draußen hell ist...«
    Plötzlich stürzte er zum Fenster und zog die Vorhänge zu. In den Häusern gegenüber brannte überall helles Licht.
    »Warum verdunkeln die nicht? Warum wird die Verdunklung nicht durchgesetzt«, fragte er und wurde immer lauter, als könnte er so dem unausweichlichen Gespräch entgehen.
    »Weil kein Krieg mehr

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