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Die Nachhut

Die Nachhut

Titel: Die Nachhut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Waal
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dazu: Hatten diese GIs nicht auch gehofft, sie würden zu Hause wie Helden empfangen? Stattdessen schämte sich plötzlich ihr eigenes Land für sie und den ganzen sinnlosen Krieg. Fühlte sich Fritz in seiner Naivität am Ende genauso verraten? Ich wusste es nicht. Er lag mir vielleicht geografisch oder gar biografisch näher, aber würde mir trotzdem immer fremder bleiben als jeder Amerikaner.
    Gerd hatte meinen Whisky nicht angerührt und drängte zum Aufbruch. Wir kauften ein paar Büchsen Bier bei einem Türken. Josef wollte außerdem unbedingt einen Döner probieren, während Gerd erklärte, dass er noch eine Woche über die Wohnung eines Freundes verfügen könne, der jeden Winter in Italien verbringt. Bei Foth würde uns sicher niemand vermuten. Natürlich, und das wollte er vorab auch gleich ein für alle Mal klären, hätten wir uns anständig zu benehmen. Mich sah er dabei besonders streng an. In Wirklichkeit war es Stahl, der gerade Gerds Wildlederjacke mit Dönersoße bekleckerte. Es schien ihm außerdem nicht besonders zu schmecken.
    Der Name seines Freundes war mir zwar bekannt vorgekommen, aber erst als ich auch den Vornamen auf dem Klingelschild las, begriff ich, wer unser Gastgeber sein sollte: Erich Foth - du weißt schon, Evelyn - dieser Fernsehproduzent mit der immer gleichen Gruselmischung aus Kammerspiel und Dokumentation: ein paar Archivbilder, dramatische Stimme und eine Hand voll scheintote Zeitzeugen vor schweren Gardinen oder Bücherwänden. Die durften dann den Jogginganzug im Altenheim noch mal gegen ein schlecht sitzendes Jackett tauschen, um die alten Zeiten zu beschwören. Hitlers Helfer. Hitlers Klempner. Hitlers willige Frauen. Seine letzten Tage. Seine Künstler. Er und Speer. Hauptsache Hitler kam im Titel vor, dann lief das Zeug wie blöd. Keine Ahnung, wer sich das ansah, aber der Führer machte immer noch Quoten, von denen andere nur träumten. Foth hatte ihn praktisch fürs Fernsehen entdeckt und war mit seinem Star reich geworden.
    Seine feiste Altbauwohnung am Stuttgarter Platz zählte mindestens acht oder neun Zimmer. Hier waren die Medienyuppies schon zu Hause, als an Mitte oder Friedrichshain noch gar nicht zu denken war. Und wäre Busch Wohnungsmakler mit einem beliebig großen Angebot für jeden Zeitgeist gewesen, hätte man ihn für diese Wahl wirklich nur beglückwünschen können.
    Bis hin zu den alten schwarzen Drehschaltern war die Bude wie für einen 30er-Jahre-Film ausgestattet. Antike Rollschränke wechselten sich mit schweren Herrenmöbeln ab, wandhohe Regale mit dunkelgrün gemusterten Tapeten, Leder mit Eiche. Das Parkett glänzte frisch gebohnert. Der wuchtige Schreibtisch hätte auch einem Fettwanst wie Göring gut gestanden, darauf Tintenfässer aus Marmor, gerahmte Bilder von Schäferhunden, Faschistenkitsch überall. Und nichts davon, so fürchtete ich, nicht mal der Hakenkreuzteller unter dem Gummibaum, den Gerd auftragsgemäß sofort zu gießen begann, war ironisch gemeint.
    »Willkommen im Führerhauptquartier«, sagte er.
    Niemand lachte. Fritz und Josef fanden das wahrscheinlich geschmacklos - ganz im Gegensatz zur Einrichtung. Josef versank im erstbesten Ledersessel und gleich wieder in seiner Zeitschrift. Fritz verlangte forsch seine Uniform zurück.
    »Warte, ich will dir vorher noch etwas zeigen!«
    Ich stand vor einer Bücherwand im Arbeitszimmer und diesmal sollte er mir nicht davonkommen. Jeder Griff in dieses Regal war ein Verbrechen, alles da von A wie Ahnenerbe bis Z wie Zyklon B. Bildbände, Videos, Bücher. Es war ein seltsames Gefühl, sich die Beweise aussuchen zu können wie ein Elfmeterschütze die Ecke. Immerhin hatten sie die Zeit erlebt, über die wir fast alles besser wussten. Hinterher ist man immer der Klugscheißer. Womit also anfangen? Was war die richtige Dosis? Zwei Reihen beanspruchte allein Hitler für sich, über ihm, alles streng nach Alphabet sortiert, war der Rest der Bande versammelt: Goebbels und Göring und »Himmler privat«. Danach kam ein halbes Regal Holocaust. Wieso war es ausgerechnet mein Job, das Fritz alles so brutal wie möglich reinzudrücken?
    Gerd hatte unterdessen Betten bezogen wie ein guter Herbergsvater und schüttelte den Kopf, als er mich mit einem Buch über »Himmlers Schergen« in der Hand erwischte.
    »Vergiss es«, sagte er, »die glauben dir kein Wort davon!«
    »Aber das war doch ihr Chef, oder nicht?«
    »Der wollte am Ende sogar noch mit England verhandeln.«
    »Eben«, flüsterte ich,

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