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Die Nachhut

Die Nachhut

Titel: Die Nachhut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Waal
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ich wach im Bett wie eine alte Frau und fürchtete mich vor meinem eigenen Telefon. Ich hatte Angst, dass es gleich wieder klingeln könnte, Angst vorm Rangehen und davor, es nicht zu tun. Manchmal spürte ich die Funkwellen schon vorher, wie sie meinen Puls beschleunigten und - na also: Wieder zuckte es auf meinem Nachttisch. Greensleeves was all my joy. Von wegen! Noch tiefer kroch ich unter die Decke: Geh nicht ran, Evelyn! Hast du es eben nicht gehört. Sollen sie dich doch mal!
    Schiller war dran.
    Angeblich tat es ihm leid, aber er habe schon dreimal, und ob er mich etwa geweckt habe...
    »Nein«, unterbrach ich ihn barsch, »ich war noch wach .«
    Noch oder schon, was spielte das für eine Rolle? Darauf, dass ich das Telefon nicht hören wollte, wäre einer wie Schiller sowieso nie gekommen. Leute wie ihn interessierte Schlaf nicht, der seiner Mitmenschen schon gar nicht. Der Kerl brachte mich immer sofort in Rage.
    »Wir haben ein Problem«, sagte er.
    »Davon gehe ich aus um diese Zeit .«
    Schiller war an sich kein umständlicher Typ. Er war mein Assistent und hatte mich bisher nie spüren lassen, dass es andersherum eigentlich richtiger gewesen wäre. Alles, was die neue Sonderermittlungsgruppe gegen Rechtsextremismus betraf, stammte von ihm: die Idee, das Konzept, sogar die Abkürzung »SoRex«. Er hatte die Leute ausgesucht, operative Pläne für den bundesweiten Einsatz erarbeitet, und als sein Baby endlich laufen sollte, hatte man ihm ausgerechnet eine Frau vor die Nase gesetzt, ausgerechnet mich. Es war also nicht seine Schuld, aber auch nicht meine, dass ich mich ihm gegenüber ständig benahm wie ein alter Feuerwehrhauptmann.
    »Sag schon«, hörte ich mich fragen, »wo brennt’s denn? «
    »Sie werden lachen«, antwortete Schiller, »aber es brennt tatsächlich und zwar ein Bus auf der A 24 .«
    »Na und? Sind wir die Feuerwehr oder was? «
    Ich hasste mich dafür und konnte doch nicht anders: Genau wie ich Schiller von Anfang an duzte, während er mich hartnäckig siezte, musste ich ihm ständig ins Wort fallen. Er dagegen atmete nur etwas lauter als nötig.
    »Die Kollegen vor Ort sind gleich von einem Anschlag ausgegangen, deshalb haben sie uns angefordert .«
    »Na und? «
    »Wie es aussieht, lagen sie richtig .«
    So lief das immer: Je unwirscher meine Zwischenfragen, desto mehr verlegte sich Schiller darauf, nur noch brav zu antworten. Es war eine von diesen blöden Kommunikationsfallen, die wir beide aus diversen Seminaren kannten - theoretisch.
    »Gibt es Verletzte? «
    »Nicht der Rede wert, nur der Fahrer schwer. Es ist nur.. .«
    »Tote? «
    »Nein. Schlimmer .«
    Nun ließ er mich zappeln. Auch das gehörte zum Spiel. Nur blieb Lars Schiller für seine 30 Jahre und die Umstände unserer zwanghaften Beziehung dabei stets erstaunlich gelassen.
    Noch vor kurzem hätte ich bei einem wie ihm nicht mal einen Termin bekommen. Der Kanzler persönlich hatte ihn nach einer geschmeidigen Karriere beim Bundeskriminalamt als Experten für innere Sicherheit in sein Wahlkampfteam geholt. Darauf war Schiller immer noch unheimlich stolz, auch wenn er hinterher wieder ins Glied treten und seine leichtfertig dahin gedachten Ideen nun umsetzen sollte. Die SoRex war eine davon.
    Dass sich die Regierung nach ihrem Lichterkettenwahlkampf überhaupt noch daran erinnerte, war auch für mich eine Überraschung gewesen. Vorher waren Neonazis auf Bundesebene nie ein großes Thema gewesen. Lediglich ein paar wackere Sozialarbeiter in der ostdeutschen Provinz hatten immer wieder Alarm geschlagen. In Berlin war ich mir als kleine Referentin einer Bundestagsabgeordneten seit Jahren wie Kassandra vorgekommen, die damit alle nervte, aber nie für voll genommen wurde. Erst nach dem hundertsten Toten und etlichen regionalen Demonstrationen hatten die Trauerkerzen auch in den Augen der Politiker zu leuchten begonnen. Irgendjemand hatte den Innenminister auf meine Arbeit in antifaschistischen Netzwerken aufmerksam gemacht. Ich hatte sogar einen Verdacht wer, und dass es für Wolf am Ende wieder nur ein Schachzug im täglichen Spiel um die Macht war, aber immerhin: Für ein Feigenblatt war die SoRex beim Bundeskriminalamt ziemlich hoch angebunden und das Problem in meinen Augen sowieso jeden Versuch wert. Schon deshalb konnte ich nicht kneifen, weil niemand wusste, wie lange das Interesse an meinem Thema noch halten würde. Dafür kannte ich Politiker zu gut, besonders diesen einen, aber das musste auch Schiller gar nicht

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