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Die Nachhut

Die Nachhut

Titel: Die Nachhut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Waal
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SoRex gar nicht nötig gewesen. Wie oft hatten Polizisten ratlos vor einem halbtoten Kubaner gestanden. Fast immer lungerten in der Nähe zufällig ein paar grinsende Jugendliche mit verdächtig kurzen Haaren herum und sahen der Polizei bei der Arbeit zu. Später stand in den Berichten, ein fremdenfeindlicher Hintergrund sei nicht auszuschließen. Die Beamten mussten dafür nicht mal auf dem rechten Auge blind sein. Sie konnten nur rechtsextreme nicht mehr von anderen Kids unterscheiden, weil es kaum noch andere gab. So wie Schiller einen verkappten Nazi offenbar nicht von einem Fachmann unterscheiden konnte. Oder wollte? Um diesen Elber würde ich mich auch noch kümmern. Ich musste nur aufpassen: Aus Versehen hatte Schiller den Kollegen bestimmt nicht denunziert. Da konnte er noch so beiläufig tun.
    »Brauchst du mich vor Ort«, fragte ich.
    »Nein«, sagte Schiller etwas zu schnell, »ich wollte nur ...«
    »Ich habe morgen früh diesen blöden Fernsehtermin ...«
    »Deshalb ja. Wenn die schon davon wissen, sollten wir ...«
    Ich wollte von Schiller nicht wissen, was wir sollten. Er sollte einfach anrufen, wenn es etwas Neues gab. Und bevor er weitere Widerworte fand, legte ich auf.
    Das Interview mit Kanal 5 hatten Pressestrategen der Regierung arrangiert. Eine reine PR-Geschichte: Schaut her, jetzt tun wir wirklich was! Schon deshalb wäre ich nie auf die Idee gekommen, das Fernsehen könnte aktuelle oder gar kritische Fragen stellen. Schiller dagegen hatte auch daran gedacht.
    Er kannte sich mit solchen Sachen aus, war immer im Bild und wahrscheinlich sogar gern im Fernsehen. Sollte ich vielleicht doch anders mit ihm umgehen? Ihn womöglich selbst hinschicken? Schiller würde jede Frage parieren, ohne eine einzige zu beantworten, sogar solche, die ich unter anderen Umständen selbst gestellt hätte und deshalb am meisten fürchtete: Wie man zum Beispiel ohne jede Ausbildung über Nacht Polizistin werde? Oder: Frau Thorwart, was ist eigentlich der Unterschied zwischen amerikanischen Austauschschülern und toten Kubanern? Täuscht der Eindruck oder ist die Polizei immer so schnell? Mindestens zehn lästige Fragen dieser Art fielen mir auf Anhieb ein - aber nur halb so viele Notlügen und Ausflüchte. Womöglich würde man sogar fragen, ob es stimme, dass ausgerechnet in meiner Truppe Nazisprüche üblich seien - doch an dieser Stelle brach ich das fiktive Interview zitternd ab: Kein Kommentar mehr! Schluss jetzt, bevor sich meine Angst schon wieder zu einer handfesten Paranoia auswuchs.
    Schiller konnte sowieso nicht einspringen. Er würde noch bis morgen früh an der Autobahn stehen. Ich selbst fror schon bei dem Gedanken daran wie ein rasierter Pudel im Winter. Nicht mal Schadenfreude konnte mich wärmen. Ich schob es auf unser unterkühltes Verhältnis, meine Müdigkeit und diesen Geizkragen von Hausbesitzer, der schon Ostern die Heizung abstellen musste - bis ich merkte, woran es wirklich lag: Noch immer kauerte ich barfuß und mit eingeschlafenen Beinen vor meinem offenen Kühlschrank. Es knirschte in allen Gelenken. Rheuma, Bettflucht, Demenz. So fängt es an, Evelyn. Merkst du jetzt, was dieser Job mit dir macht - was er aus dir macht?
    Mein Bett zumindest musste noch warm sein.
    Montag
    Als Ich wieder aufwachte, musste ich die Uhrzeit nicht einmal schätzen. Es war schon hell draußen und sowieso alles zu spät: Knapp 15 Minuten blieben mir noch, um aufzustehen, mich fertig zu machen und ins Ministerium zu fahren - viel zu wenig für eine Frau in meinem Alter, zu wenig allein für den Weg.
    Ich hatte mich auf meine beste Freundin Hanka verlassen, auf den Wecker am Handy, meine innere Uhr und verschwendete nun mit geschlossenen Augen auch noch ein paar kostbare Sekunden für mögliche Ausreden: Plötzlich krank? Auto kaputt? Ein Missverständnis bei der Verabredung? Alles sinnlos, durchschaubar, lächerlich. Ich besaß ja nicht mal ein Auto. Ganz absagen? Das war immerhin ein wohliger Gedanke, der mich noch einige Augenblicke wärmte, als ich schon ziellos durch die kalte Wohnung irrte.
    Alle Klarheit der letzten Tage war verflogen wie einer dieser Träume, die sich schon Sekunden nach dem Aufwachen nicht mehr sortieren lassen. Zuerst entschied ich mich gegen eine Dusche, schaltete das Mobiltelefon ein und tippte die PIN: Vier mal die Vier. Auch in diesen Dingen wirst du umsichtiger werden müssen, dachte ich und öffnete mit der anderen Hand das Fenster. Ein Müllmann kontrollierte gerade die Tonnen und

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