Die Nachhut
nie gestellt, ganz sicher jedenfalls nicht so beiläufig.
»Wen meinen Sie eigentlich ständig mit Wolfgang? Diesen Kieler, ihren Stiefvater?«
»Ach was, Kieler! Hören Sie nicht zu? Johann Baptist hieß der Kerl, wie der Täufer. Und unser Stiefvater war er nie. Wir haben ihn ausgehalten - in jeder Hinsicht. Seine Heuchelei und dass er nie wieder richtig gearbeitet hat ... außer ein bisschen Ehrenamt für die CDU. Mein Gott, manchmal habe ich unser Wölfchen wirklich verstanden, das können sie mir glauben ...«
Unser Wölfchen? Wolfgang? Meine Kompetenzen? Langsam begannen die Zahnräder in meinem Kopf zu arbeiten. Erst knirschten sie noch und taten weh, dann griffen sie erbarmungslos ineinander.
Obwohl es Gerd sicher nicht recht gewesen wäre, gab ich mich am Telefon als sein Sohn aus, und hatte so nach zehn Minuten raus, dass er in der Charite gelandet war. Zu seinem Zustand wollte man mir keine Auskunft geben. Er war auch nicht zu sprechen. Aber offenbar hatte der alte Haudegen überlebt, denn man versprach mir, ihm meinen Anruf auszurichten.
Danach - und auch dabei sah ich seinen Schnurrbart schon jetzt heftig zucken - telefonierte ich sein Adressbuch rauf und runter. Ich weckte Kollegen, störte sie bei den Tagesthemen im Fernsehen oder beim Sex - es war mir scheißegal. Jedem einzelnen bot ich unser Material exklusiv an. Doch sie wimmelten mich entweder mit dem Hinweis auf Redaktionsschluss ab oder wollten fadenscheinige Treffen für nächste Woche vereinbaren. Ein paar seiner so genannten Freunde legten mir sogar nahe, es doch bei irgendeinem faschistischen Sudelblatt zu versuchen - oder gleich wieder auf, als sie seinen Namen hörten.
Bei der Woche kannte man angeblich keinen Mitarbeiter namens Strakka. Ein anderer »alter Freund« von Busch fand es »nicht angebracht, aus geistig verwirrten Menschen auch noch journalistisches Kapital zu schlagen«, und er meinte nicht etwa Fritz. Er persönlich konnte es Busch »nicht mal verübeln, also wirklich, manchmal da könnte man schon ...« Dann aber biss er sich auf die Zunge und erklärte: »Manchmal muss man sich eben auf die Zunge beißen, damit es nicht den falschen Leuten nützt.« Er wolle nicht auch noch in die gleiche Falle tappen. Das sollte ich bitte verstehen.
Nach über zwanzig Telefonaten hatte ich verstanden: Die Story war durch. Genauso schnell, wie sie zwei Tage gekocht worden war, war sie nun gegessen und abgekühlt. Ein paar Leute hatten sich die Finger daran verbrannt, und bis zur nächsten Nazisause in den Medien benahmen sich bei dem Thema wieder alle wie trockene Alkoholiker, die einem einreden wollten, man bräuchte auch dringend eine Entziehungskur. Wer nicht hüpft, ist ein Faschist. Scheiße, Evelyn, ich war wirklich froh, als du plötzlich bei Foth vor der Tür standest. Du warst sogar genau die Richtige, denn nach diesen ganzen Telefonaten brauchte ich dringend einen frischen Persilschein: War ich wirklich schon selbst ein Nazi, nur weil ich etwas mehr Mitleid mit ein paar alten Trotteln hatte, als diese verlogene Gesinnungs-Gestapo erlaubt?
Das nicht. Ein bisschen naiv vielleicht, sonst würdest du solche dümmlichen Gestapo-Vergleiche nicht anstellen, aber auch niedlich, wie du unsereins ständig provozieren wolltest. Womöglich war es ja sogar das, was mich so anzog an dir, diese Unbefangenheit, mit der einer wie du Autobahn sagt und sich nichts dabei denkt, als schnell von A nach B zu kommen. Wie einfach du dir alles machst - oder nur nicht so schwer. Nein, ein Nazi warst du sicher nicht, auch wenn dich die alte Frau von Jagemann auf Anhieb in ihr Herz geschlossen hatte. Und bei ihr war ich mir da nicht so sicher.
Ihr hättet Euch mal sehen sollen auf diesem Sofa! Wie sie die Umschläge der ollen Kladden abtastete und liebkoste. Wie sie dir jedes Wort von den Lippen saugte, als hättest du diesen Schatz für sie persönlich vor den Russen gerettet. Wie Oma und Enkel, keine Spur mehr von Dame oder einem halbwegs unabhängigen Journalisten. Du warst längst Teil deiner Story, das machte mir Sorgen, sie hatte dich verschluckt. Du wolltest nicht mehr nur Chronist sein, sondern offenbar die Unschuld von vier alten Faschisten beweisen. Opfer in SS-Uniformen gibt es aber nicht. Sie sind niemals unschuldig, selbst wenn sie unschuldig sind, verstehst du? Da konntest du seiner Schwester noch so viel Nettes von Fritz erzählen, während ich mich in dieser gruseligen Wohnung umschaute und mich still vor mich hin schämte.
Wenn wir
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