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Die Nachhut

Die Nachhut

Titel: Die Nachhut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Waal
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Ihnen?«
    »Ich?« Das war tatsächlich nicht so einfach im Moment. »Also früher, ich meine als junges Mädchen, ich glaube schon, dass ich mich aufgelehnt habe, und auch jetzt noch, gegen Nazis oder ...«
    »Gegen Nazis, aha.« Sie kicherte albern.
    »Ja, zum Beispiel. Was gibt’s da zu lachen?«
    »Ganz schön mutig! Das ist doch praktisch Staatsräson. Eher würde ich mir Sorgen machen, dass die Jungen nicht genau dagegen rebellieren. Glauben Sie mir, alles kommt irgendwann wieder!«
    »Eben. Deshalb ja! Deshalb ist es ja unsere Pflicht ...«
    »Pflicht? Das haben wir damals auch gedacht.«
    »Bis zum bitteren Ende, ich weiß schon ...«
    »Genau. Und danach gab es neue Pflichten. Überleben, zum Beispiel, wieder aufbauen. Damit es immer weitergeht, damit die nächste Generation - wenn Sie so wollen - wieder etwas hat, wogegen sie sich auflehnen kann. Überleben ist sowieso Pflicht!«
    »Aber Krieg und Massenmord nicht!« Endlich hatte ich sie, dachte ich. Gleich würde sie auch noch die schlimmsten Verbrechen zum Überlebenskampf zählen und sich damit endgültig entlarven.
    »Ach Kindchen«, sagte sie, »keine Generation weiß vorher, wohin die Reise geht. Die Jugend wird das Alte immer verurteilen, belächeln, bekämpfen. Es ist ihr gutes Recht, vielleicht sogar auch eine Pflicht. Meine Güte, sie als Polizistin müssen das doch kennen! Sie erfüllen doch auch nur ihre Pflicht, oder nicht?«
    Wütend sah ich in den Rückspiegel. Sie wich mir aus, lächelte mild und nach zwei planlosen Runden um den großen Stern entschied ich mich zum Äußersten. Es ging nicht anders: Sie musste alles wissen. Wenigstens die Vollbremsung überraschte sie etwas. Aber als ich mich fast gleichzeitig zu ihr umdrehte, war der Spott schon wieder in ihr Gesicht zurückgekehrt. Beinahe kam es mir vor, als wenn ich diese schnippische Unterlippe schon ewig kannte, ein Mund, der nichts gelten ließ als die eigenen Worte.
    »Damit Sie es genau wissen«, sagte ich, »zu meinen Pflichten gehört es leider auch, ihren Bruder zu verhaften.«
    Sie lächelte immer noch: »Das liegt wohl kaum in ihrer Macht! Wolfgang würde ihnen was husten!«
    »Wer? Ich rede von ihrem Bruder Fritz. Fritz von Jagemann.«
    »Fritz?« Auf einmal sprach sie leise, und jede Selbstsicherheit war aus ihrer Stimme verschwunden: »Fritz lebt?«
    »Ja, Fritz. Wir wissen zwar nicht genau, wo er sich im Moment aufhält, aber er könnte bereits in Berlin sein.«
    Sie sah mir lange direkt in die Augen. Dann fummelte sie umständlich am Türöffner, quälte sich aus dem Wagen und stützte sich mit beiden Händen auf die Kühlerhaube, als müsste sie sich gleich übergeben. Ich wollte ihr helfen. Sie aber schüttelte mich ab. Erst als ich ihr ein Taschentuch anbot, schämte sie sich nicht mehr und nahm meine ganze Hand.
    »Sie würden damit keine Scherze machen, oder?« Ganz sicher schien sie aber nicht. »Ist es wirklich unser Fritz?«
    »Ich fürchte schon, ja.»
    In Wirklichkeit fragte ich mich auf einmal, wie sicher ich wirklich sein konnte. Immerhin hatten sie mir bisher nie die ganze Wahrheit gesagt. Schiller jedenfalls nicht. Aber Wolf?
    »Aber ...« Sie weinte nun hemmungslos. »Wo hat er denn die ganze Zeit gesteckt. Warum hat er sich denn nicht gemeldet?«
    »Das prüfen wir noch. Haben Sie ihn nie suchen lassen?«
    Elisabeth von Jagemann ließ meine Hand los und sank wieder auf die Rückbank des Autos. Hilflos sah sie zu mir hinauf.
    »Wie denn? Wir konnten ja nicht - wegen der falschen Identität. Außerdem sind so viele umgekommen in den letzte Wochen ... Mein Gott, vielleicht hat er uns ja deshalb nicht gefunden, weil wir am Anfang selbst als tot galten. War er im Ausland? Hat er Familie? Jetzt sagen Sie schon: Wie geht es ihm?«
    »Er ist gesund. Jedenfalls körperlich ganz gut beieinander, so viel wir wissen. Schauen Sie eigentlich nie fern?«
    »Selten. Wieso? Was hat das mit Fritz zu tun?«
    »Nichts.«
    Wie sollte ich ihr die Situation nur in wenigen Worten erklären? Das Fernsehen konnte das. Ihr konntet das, Benny, weil ihr es euch einfach macht. Und wenn es doch mal komplizierter ist, macht ihr es eben kurz.
    »Wo ist er? Weiß es Wolfgang schon? Jetzt reden Sie doch!«
    Viel zu schnell für meinen Geschmack hatte sie ihren herrischen Ton wieder gefunden. Diese Ungeduld, der schnelle Wechsel von Nähe und Distanz - all das hätte mir gleich bekannt Vorkommen können. Müssen! Und mit dem Hauch einer Ahnung hätte ich natürlich auch die nächste Frage

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