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Die Nachhut

Die Nachhut

Titel: Die Nachhut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Waal
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nur eher miteinander geredet hätten, Benny! Wenn ich gewusst hätte, was ihr von Strakka wusstet! Aber selbst dann: Wahrscheinlich hätte ich euch kein Wort geglaubt und mich genauso lange standhaft gegen die Wahrheit gewehrt. Genau wie dein Fritz. Wie wir alle. Wie Wolf Jäger letztlich auch, das Schwein!
    Wie der mich benutzt hatte. Was er mir alles erzählt hatte, damit ich die Drecksarbeit für ihn mache! Erst die Amerikaner, das Ansehen Deutschlands und dann auch noch diese beknackte UNO-Geschichte. Dabei wusste er womöglich von Anfang an - spätestens aber seit der Name seiner Sippe erstmals fiel -, wer da aus dem Loch gekrochen war. Es war wie bei Kain und Abel, nur dass Jäger das Kainsmal schon vorher trug und nichts mehr fürchtete als die Frage nach Abel. Notfalls hätte er seinen eigenen Bruder lieber erschlagen, nicht mal das - erschlagen lassen. Von mir!
    Wie kann man nur ein halbes Leben gegen all die alten Ausreden kämpfen, gegen blinden Gehorsam, Pflicht und Vaterlandsgerede - und gleichzeitig selbst jeden Befehl bedingungslos ausführen, sobald es einer das Ansehen Deutschland nennt? Ich hatte es hingekriegt. Wolf Jäger war nicht die schlechteste Entschuldigung dafür - ich meine: als Mann. Jedenfalls kein Vergleich zu dem kleinen Giftzwerg mit dem halben Schnurrbart, dem die Weiber angeblich ja auch zu Füßen lagen, was ich nicht verstanden hatte. Ja, Benny, wenn du schon so fragst: Es gibt immer noch genug Rätsel und Fragen, denen wir uns stellen müssen. Ob sich womöglich nur die Geschmäcker ändern, zum Beispiel, aber die Frauen nie? Das hätte ich auch Elisabeth von Jagemann gern mal gefragt.
    Freitag
    Naiv und niedlich also, aha. Und deshalb bist du mir sofort in Foths Schlafzimmer gefolgt, nachdem ich Liesbeth die restlichen Tagebücher in den Schoß gelegt hatte? Ich war todmüde. Es war lange nach drei Uhr. Ich hatte die Augen zwar schon zu, aber habe mich trotzdem noch mindestens zwei Minuten gegen den Schlaf gewehrt, deinen Atem warm in meinem Nacken. Worauf hast du gewartet? Bis ich nicht mehr konnte? Auf einen Heiratsantrag?
    Ach, Benny! Wie du überhaupt schlafen konntest in dieser Nacht. Eine Schnapsidee war das, ausgerechnet in dieser schrecklichen Wohnung auf Fritz zu warten. Wahrscheinlich hatten sie ihn längst gefunden - oder die Papiere, die ich in dem Faxgerät vergessen hatte. Sicher konnte Schiller der Nummer im Handumdrehen eine Adresse zuordnen, ließ womöglich gerade das Haus umstellen und jeden Moment stürmen, vermutlich von UN-Truppen. Ich hatte alles vermasselt. Da konnte ich mich doch nicht auch noch an einem schlafenden Jüngling vergehen, auch wenn es mir ziemlich schwerfiel. Ich sah dir noch eine Weile beim Schlafen zu und zog die Schuhe aus, bevor ich mich wieder zu der alten Jagemann setzte.
    Sie hatte ihre Lektüre gerade unterbrochen und starrte weinend ins Leere. Es mochte nicht der richtige Moment gewesen sein, vielleicht auch nicht der richtige Ton, aber den muss man ja auch erst mal treffen nach stundenlangem Schweigen. Auf jeden Fall war es nicht böse gemeint und erst recht kein Vorwurf, als ich von ihr wissen wollte, wie viel man eigentlich als Kind davon mitbekommt, was ein Massenmörder-Papa den ganzen Tag über treibt.
    Ihre Tränen schienen auf der Stelle zu gefrieren:
    »Bitte verschonen Sie mich damit, ja? Vater war Soldat.«
    »Aber ihr Bruder hat wegen ihm immerhin ...«
    »... unseren Namen sterben lassen - wem sagen Sie das?«
    Na toll! Man konnte Wolf oder Wolfgang sicher einiges vorwerfen, aber doch nicht zuerst das Ende der Linie von Jagemann! Aber seine feine Schwester hatte sogar dafür Verständnis.
    »Wahrscheinlich konnte der Kleine nicht anders. Er hielt das einfach nicht aus, dass es in allen anderen Familien auf einmal nur noch Flakhelfer gab. Ein Volk ohne Vorfahren! Mitgegangen - aber nicht gehangen. Außer unser Papa. Niemand hat damals die Nürnberger Urteile anerkannt, aber alle waren doch froh, dass sich ein paar Sündenböcke gefunden hatten. Was ist mit ihren Eltern? Sprechen Sie noch mit ihnen? Lieben Sie sie trotzdem?«
    »Ich kenne sie nicht - kannte sie nie.«
    »Ach so«, sagte sie kühl, »das macht es natürlich einfach.«
    Mitleid hatte ich nicht erwartet - aber das? Ein Waisenkind mehr oder weniger war in ihrer Generation nicht der Rede wert. Nichts von damals war der Rede wert. Vergessen, verdrängen, verleugnen - sie nannten das überleben. Hatte es sich Wolf, als er noch Wolfgang war, am Ende auch nur

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