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Die Nachhut

Die Nachhut

Titel: Die Nachhut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Waal
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einfach machen wollen?
    Elisabeth von Jagemann sah mich noch ein paar Sekunden vorwurfsvoll an, dann sanken ihre Augen wieder in die Tagebücher. Über dem Sofa, auf dem sie saß, hing ein scheußliches Gemälde von blonden Jungs am Strand. Mir fiel der Name des Malers nicht ein, aber ich wusste, dass er noch relativ jung war. Erst in deiner Generation war es geradezu Mode geworden, mit solchen Chiffren zu kokettieren: Unbeschwerte Hitlerjugend, stampfende Musik, dazu das rollende R. Lustige Filme über Hitler oder pathetische über die Vertreibung. Und Wörter wie Gesinnungs-Gestapo, mein Lieber, gehörten für mich auch auf diesen Kinderspielplatz.
    Natürlich stritt jeder ab, irgendwas damit sagen zu wollen. Die Provokation allein kam euch offenbar selbst zu platt vor und mir tat das regelrecht leid. Da wolltet ihr euch auch mal mit der Vergangenheit auseinandersetzen - es war nur nicht mehr eure. Da geilten sich junge Künstler an faschistischer Ästhetik auf, manche penetrant beiläufig, andere aufreizend eindeutig - aber es regte kaum noch einen auf, sondern verkaufte sich gut. Im Grunde war es das Gleiche wie bei uns, nur dass euch die lebendigen Gegner fehlten. Ihr konntet nur noch mit Schatten - oder euch über eure 68er-Eltern lustig machen, die gerade anfingen, sich mit euren Großeltern zu versöhnen. Was würden eure Kinder sagen? Mit 17 bei der Waffen-SS? Na und? Ich habe auch schon mal geklaut.
    Wolf hatte versucht, über seinen Schatten zu springen. Nun waren sie plötzlich alle wieder da, sein Bruder, der Vater, die ganzen Gespenster. Es war sein politisches Ende. Alles verzeihen Deutsche ihren Politikern: Weiberheldentum und polnische Putzfrauen, hässliche Schnauzer und getönte Haare - aber niemals Schwindelei im Lebenslauf. Auf seine Schwester konnte er nach dieser Nacht auch nicht mehr zählen. Sie lächelte und weinte bis zum Morgen abwechselnd in die Aufzeichnungen ihres Lieblingsbruders. Und obwohl ich Wolf einiges zutraute, wenn es um seine Karriere ging, sträubte sich in mir immer noch alles dagegen. Tot oder lebendig, hatte ich ihn gefragt und wollte mich schon nicht mehr genau erinnern: Hatte er wirklich mit den Schultern gezuckt?
    Kurz nach sieben Uhr klingelte dein Handy auf dem Couchtisch. Ich hatte es aufgegeben, vorher die Uhrzeit zu schätzen und nur das dumpfe Geläut einer hässlichen Standuhr gezählt. Die alte Jagemann las immer noch. Du kamst aus dem Schlafzimmer gewankt und es ärgerte mich ein wenig, dass du zum Telefonieren wieder zurückgegangen bist: Konntest du mir immer noch nicht trauen, weil ich offiziell noch Polizistin war? Oder war da noch was offen mit dieser Jessy oder Jenny, deren Namen ich aus Versehen auf deinem Display gelesen hatte und jetzt schon wieder vergessen habe.
    Unsinn: Jede neue schlechte Nachricht hatte ich erwartet - nur nicht Jenny. Ihre aufgedrehte Stimme war mir jedenfalls lieber als irgendeine auf Beileid gedimmte aus dem Krankenhaus.
    »Wie geht es dir?« fragte sie und begann sofort von sich zu erzählen: »Mich haben sie total fies abserviert ... dieser Matti...«
    »Mir geht’s auch nicht besonders«, sagte ich, »danke.«
    »Ich hab’s gehört. Wo liegt er denn, der Arme?«
    Jenny musste nicht unbedingt die Erste an Gerds Krankenbett sein, aber hatte schon wieder diesen professionellen Ton drauf.
    »Charite«, sagte ich misstrauisch, »aber ...«.
    »Wann besuchst du ihn? Nimmst du mich mit? Sagen wir 13 Uhr?«
    »Ich ...«
    Es klingelte an der Tür und vor Schreck hielt ich das Telefon zu, als sei es Jennys Mund. Im Flur traf ich dich, nackte Panik im Gesicht. Frau von Jagemann aber stürzte zur Tür wie ein Kind am Heiligen Abend, und ich konnte sie gerade noch zurückhalten.
    »Okay«, flüsterte ich schnell ins Telefon, »13 Uhr.«
    Durch den Spion war niemand zu sehen. Ich lauschte ins Treppenhaus, ihr beide hinter mir. Dann ging das Licht an. Die Haustür hatten sie also schon auf. Leise schloss ich die Wohnungstür wieder, trat ein paar Schritte zurück und rechnete damit, dass sie gleich auffliegen würde, wahrscheinlich gefolgt von einer Blendgranante und einer Armee aus SEK-Leuten. Du hieltest deinen Dienstausweis bereit, um die Kollegen zu beruhigen, doch die Schritte auf der Treppe hörten sich nur nach einer Person an. Als es vor der Tür raschelte, konnte ich Liesbeth nicht mehr halten.
    »Fritz?« Ihre Stimme zitterte, als sie die Klinke berührte, aber vor der Tür hockte nur ein fremder Mann in blauer Uniform, der

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