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Die Nachhut

Die Nachhut

Titel: Die Nachhut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Waal
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einen schmalen Gang, den ich nicht kannte, bis zu einem Fahrstuhl, den ich noch nie benutzt hatte. Einer drückte die Sieben und glitt wortlos wieder aus der Kabine.
    Wir fuhren allein, zehn herrliche Sekunden, in denen ich meine Stirn noch einmal gegen die kühle Tür lehnen konnte. Ich hörte das Blut in meinen Adern rauschen und suchte mit einer Hand unwillkürlich das Display. Es war ein kindischer, sinnloser, letzter Versuch, allerdings gab es weder eine Stopptaste noch andere Etagen. Dieser Aufzug kannte nur das Erdgeschoss und eine leuchtende Sieben, rauf oder runter, dazwischen nichts. Hanka heuchelte Zuversicht und deutete auch meine Handbewegung falsch. Sie griff einfach zu und drückte mir die Knöchel weiß, bis die Fahrstuhltür wieder aufging.
    Davor warteten schon die Männer aus der Lobby. Sie mussten die Treppen hinaufgerannt sein und sich gleichzeitig vermehrt haben. Das passierte ständig in Berlin, eine Art Zellteilung von Sicherheitsbeamten, Klone in hellgrauen Anzügen und mit gelben Krawatten. Vermutlich war der Minister schon im Haus und wollte den Fernsehbeitrag - und sich selbst - mit ein paar Sätzen über das Projekt SoRex schmücken. Merkwürdig war das trotzdem: Gewöhnlich fühlten sich Minister mit vier Personenschützern wichtig genug. Die gelben Krawatten auf dem Flur hätten jedoch für einen EU-Gipfel gereicht.
    Ihre Gesichter verrieten nie mehr als den regelmäßigen Besuch im Sonnenstudio. Einer flüsterte etwas in seinen Ärmel, griff blind nach der Türklinke hinter seinem Rücken und nickte mir zu. Es war eine gepolsterte Doppeltür und eine eindeutige Geste: Hanka war nicht gemeint. Ich schaute mich noch einmal um. Sie lächelte stur, zeigte auf meinen Rucksack und nahm ihn mir ab. Dann öffnete sich auch schon die zweite Tür von innen.
    Mindestens ein Dutzend Köpfe fuhr herum. Alles Männer. Sie saßen um einen ovalen Konferenztisch vor verdunkelten Fenstern. Eine Fernsehkamera suchte ich vergeblich, aber das beruhigte mich kaum. Dafür erkannte ich zwei von meinen Leuten im Halbdunkel, außerdem den Innenminister und - selbst im Sitzen der Größte von allen - Wolf Jäger. Er schnellte von seinem Platz auf und eilte mir mit besorgter Miene entgegen.
    »Frau Thorwart«, nannte er mich, »schön, dass Sie es doch noch geschafft haben.«
    Natürlich siezte er mich - was hatte ich denn gedacht? Seine tiefe Stimme klang ehrlich erleichtert und obwohl er strahlte, sah er doch müde aus, abgespannt und alt. Mir konnte er nichts vormachen, der Herr Staatssekretär.
    Noch vor wenigen Jahren hatte ihn sein graues Haar nur attraktiver gemacht. Nun war Wolf knapp über 60, aber weiß wie ein Greis, und das wollte weder zu seinem jugendlichen Gesicht passen noch zu seiner Statur: Schlank und gerade stand er vor mir. Seine schönen Hände schlossen sich warm um meine Rechte, und ich wünschte mir, dass es ihn die gleiche Beherrschung kostete wie mich, nicht herzlicher sein zu dürfen.
    »Hat dich Schiller inzwischen erreicht«, hauchte er mir ins Ohr, während er mich um den Tisch führte und behauptete, Frau Thorwart käme direkt vom Tatort. Ich nickte nervös.
    Einige der Herren hatten sich gleich mit ihm erhoben. Andere waren demonstrativ sitzen geblieben und quälten sich je nach Alter und Gesinnung erst von ihren Stühlen auf, als die Reihe an ihnen war. Ihre Namen und Posten rauschten an mir vorüber: Oberregierungsräte, Abteilungsleiter, der BKA-Präsident. Die meisten kannte ich vom Sehen, andere aus dem Fernsehen - nur: Was wollten die alle hier?
    Nicht dass ich mich nicht gefreut hätte, aber eigentlich gehörte selbst Wolf Jäger nicht hierher. Sein Ressort war das Auswärtige. Was er so früh im Innenministerium zu suchen hatte, leuchtete mir ebenso wenig ein wie die ganze Versammlung. Wolf sah mir mein Staunen an, seufzte leise und legte mir jovial einen Arm um die Hüfte, als wir endlich mit allen durch waren. Es war keine wirkliche Berührung: Seine Hand schwebte nur leicht über meinem Körper, aber ich genoss es wie mehr.
    »Wie Sie alle wissen«, sagte der Innenminister, »leitet Frau Thorwart unsere neue Sondereinheit SoRex. Damit ist das hier natürlich ihr Fall und alle Abteilungen arbeiten ihr uneingeschränkt zu. Also dann: Besten Dank und viel Erfolg!«
    Damit schien die Sitzung auch schon beendet. Mein Fall? Welcher Fall? Warum hatten die Herren überhaupt auf mich gewartet, wenn offenbar schon alles besprochen war? Sie rauften ihre Unterlagen zusammen.

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