Die Nachhut
Wald absitzen durften. Es gibt nur einen Code für dieses Sonderobjekt, mehr nicht. Wir sind etwa 20 Mann, die es bewachen und in Schuß halten sollen, viele Techniker dabei, drei (!) Köche, alles angenehme Leute im Großen und Ganzen. Ich gehöre zur Wachmannschaft und soll außerdem als Schreiber dienen. Man könnte sich eigentlich nicht beklagen. Doch ich fürchte, so tief ins Herz der Heimat wird der Feind niemals vorstoßen. Rückwärtige Dienste, rückwärtiger geht es kaum. Ehrlich gesagt habe ich mir das, gerade in der Leibstandarte, etwas spannender vorgestellt.
Wenigstens ist unser Kommandeur ein echter Haudegen: EK Eins 1917, SS-Mann der ersten Stunde, Nahkampfspange und Gefrierfleischorden im russischen Winter 41/42. Bis vor kurzem war er noch Ausbilder in Bad Tölz, der Junkerschule, wo Vater mich gern gesehen hätte. Sturmbannführer Hohmann kennt ihn sogar persönlich, das hat er mir gleich am ersten Tag gesagt. Seitdem habe ich allerdings das Gefühl, er nimmt mich extra hart ran. Das mag in Vaters Sinne sein, besonders angenehm ist es trotzdem nicht, solange Hohmann nur eine Truppe befehligt, die nicht mal Kompaniestärke hat. Auch die anderen Offiziere, zwei Obersturmführer und ein Hauptsturmführer, sind dem Dienstgrad nach eindeutig unterverwendet, aber nehmen ihre Aufgaben ernst, als hinge von uns die ersehnte Kriegswende ab.
Die ersten Tage haben wir nur Vorräte geschleppt: Konserven, Ausrüstung, Munition, treppauf, treppab, unglaubliche Mengen. Abends hat mich der Sturmbannführer einmal beim Beten erwischt und mir sofort eine Standpauke gehalten: Ein SS-Mann bete nicht, hat Hohmann gesagt, er fürchte weder Gott noch Teufel und schon gar nicht den Tod. Das macht mir nun zu schaffen. Das wußte ich nicht und will mir auch nicht einleuchten. Schließlich ist Vater doch auch ein gläubiger Mensch. Wie soll ich mich bloß verhalten? Heimlich beten?
Das Objekt, für das wir eingeteilt sind, ist fast fertig. Zum Teil arbeiten Häftlinge noch an der Tarnung gegen Aufklärung aus der Luft. Sie schaufeln tonnenweise Sand hin und her und versetzen ganze Bäume. Zwei arrogante Ingenieure der Organisation Todt leiten den Bau, einer heißt von Kling. War das nicht die Sippe, in die Onkel Bruno eingeheiratet hat?
Unter den KZlern sind mindestens drei Franzosen. Einmal habe ich sie erwischt, wie sie über den Vormarsch der Amerikaner tuschelten. Ihre eigenen Leute seien angeblich auch schon in der Pfalz. Weil es ihnen verboten ist, bei der Arbeit zu reden, erst recht in ihrer Sprache, waren sie gehörig erschrocken, als ich »Ta gueule!« dazwischen zischte. Sie sollten gefälligst ihre Schnauzen halten. Schlimm genug, daß Goebbels im Radio ähnliches über die »feige Westmark« andeutet. Stimmt das womöglich? Ist die Pfalz wirklich schon in Feindeshand?
Zum Glück haben wir mit den Häftlingen wenig zu tun, sonst hätte ich das womöglich melden müssen. Sie haben auch so wenig zu lachen bei den Kameraden der Lager-SS: Kann einer nicht mehr, wird er bis aufs Blut geprügelt. Max behauptet sogar, sie würden nach getaner Arbeit alle erschossen. Das kann ich zwar nicht glauben, doch Schüsse fallen immer mal im Wald. Es wäre eine rechte Schweinerei, zumal bei Kriegsgefangenen. Zu Hohmann kann ich damit nicht gehen. Der macht immer nur Sprüche, »den Tod geben und nehmen«, von der Art. Und dagegen ist dann wenig einzuwenden im Krieg.
Nun, wir werden sehen. Bis bald, alles Gute, Dein Fritz!
Kurz vor elf holte mich Buschs Handy zurück in die Gegenwart. Der alte Sack schlief immer noch wie ein Toter.
Es war Jenny. Sie klang irgendwie gehetzt, aber anders als wir immer noch genauso euphorisch wie am Abend zuvor.
»Erst die gute oder erst die schlechte Nachricht?«
»Bitte nur gute. Wir sind hier völlig aufgeschmissen ohne Auto - ich meine: Ohne dich natürlich auch.«
»Sie bringen es ganz groß. Der Chef persönlich sitzt im Schnitt und ist völlig aus dem Häuschen. Der Professor kommt auch wieder und wird noch einmal alles untermauern.«
»Schade nur, dass es danach vorbei ist, ich meine: mit der Exklusivität. Es wimmelt hier jetzt schon von Kollegen!«
»Hier auch. Und damit zu den schlechten Nachrichten: Ich war im Bundesarchiv, Militärarchiv, sogar im Deutschen Baumuseum. Überall Fehlanzeige. Sämtliche Unterlagen über Bunker aus der relevanten Zeit sind nicht auffindbar oder ausgeliehen. Und ausgeliehen heißt bei anderen Behörden. Normale Leute dürfen nur an Ort und Stelle
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