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Die Nachhut

Die Nachhut

Titel: Die Nachhut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Waal
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für einen Kurier zu wertvoll war, sollte es Jenny am Morgen persönlich nach Berlin bringen. Sie wollte außerdem unbedingt beim Schnitt dabei sein, in Archiven nach den vier Opas forschen und einen Mietwagen besorgen. Busch und mir drohte ein ganzer Tag zu Fuß und ohne Handschuhfach.
    Mit solchen Aussichten und nach dieser Nacht hätte mir eine Dusche wirklich auch gut getan, aber na ja - wie soll ich sagen? Sie war besetzt. Ich wusste nichts von deinem Geburtstag, weder wie alt du warst noch was die paar Sekunden angerichtet hatten. Am liebsten hätte ich gar nicht weiter darüber nachgedacht. Wie sollte ich das meinen Kumpels erklären? Oder mir selbst? Gut, ich gebe zu: Vielleicht waren es auch zwei Minuten, die ich dich anstarrte; ich war verwirrt, überrascht, unausgeschlafen und - ja - auch aufgeregt, begeistert, Feuer und Flamme ... Bist du jetzt zufrieden, Evelyn?
    Wenig später saßen Busch und ich bereits bei Gabis Mann im Auto, der uns in ihrem Auftrag für unverschämte 30 Euro mit nach Wittstock nahm. Wir hatten ihn vorher noch nie gesehen. Verglichen mit ihr war er ein Strichmännchen, durfte seine Küche offenbar nur zum Einkäufen verlassen und setzte uns nach zehn Kilometern Schweigen vor dem Polizeirevier ab. Schon kurz vor acht Uhr waren wir dort und trotzdem nicht die ersten Journalisten, die das kleine Gebäude im Schatten der Stadtmauer belagerten, aber die einzigen mit einem echten Grund. Ein Beamter hörte sich Gerds Geschichte über die Umstände des Autodiebstahls in aller Ruhe an, tippte sogar eine Anzeige, und wenn er uns kein Wort glaubte, so ließ er sich davon nichts anmerken. Alle Versuche, ihn nebenbei über den Stand der Ermittlungen auszuhorchen, parierte er leider ebenso lässig.
    Tatsächlich hatte die Polizei vor Ort den Fall längst abgegeben. Wie alle Reporter, die es unter irgendeinem Vorwand bis in die Wache schafften, wurden auch wir für Auskünfte an das Polizeipräsidium verwiesen, von dort telefonisch zur Direktion und weiter zum Brandenburger Innenminister. Bei der Landesregierung in Potsdam hieß es, inzwischen würden Bundesbehörden den Fall bearbeiten, aber sowohl die Pressesprecher des BKA als auch die Bundesanwaltschaft schoben wieder die örtlichen Behörden vor. Das übliche Spiel. Unser Vorsprung schmolz mit jeder Stunde. Spätestens nach der Ausstrahlung der Bunkerbilder würden alle Kollegen so viel wissen wie wir und nicht eher aufgeben, bis sie etwas Eigenes gefunden hatten. Wir dagegen hatten nicht mal ein Auto.
    Immerhin erinnerte sich der Reviervorsteher bei unserem zweiten Versuch an meinen Auftritt vor dem Pfarrhaus in Gossow und gab uns den Tipp, es doch mal in einem Gebäude zwei Ecken weiter zu probieren. Er wollte nichts gesagt haben, aber dort hätten sich die Wichtigtuer aus Berlin eingenistet.
    Nach einem weitläufigen Spaziergang, der die Kollegen ablenken sollte, sahen wir vor der beschriebenen Villa Jugendliche in kleinen Gruppen stehen, die alle aufgeregt mit ihren Händen wedelten wie Rapper bei einem Battlefight. Als wir nah genug waren, stellte es sich als Gebärden-Hip-Hop heraus, und ich schämte mich ein wenig. Es war eine Schule für Gehörlose.
    Obwohl es noch früher Vormittag war, wurden kleinere Kinder schon wieder von ihren Eltern abgeholt; die größeren schienen sich freudig erregt darüber auszutauschen, was sie mit der unverhofften Freizeit anfangen sollten. Ein paar Männer schleppten Computerkonsolen und andere Technik in das Gebäude, brüllten immer wieder »Vorsicht« oder »Platz da«, was ziemlich sinnlos war, aber für ein feines Durcheinander sorgte, in dem auch wir kaum auffielen, bis Gerd auf der Schwelle zu einem Klassenraum die Kamera schulterte.
    »Moment mal!« Es war derselbe Kerl wie am Pfarrhaus, der sich vor das Objektiv schob und eine Hand auf die Linse hielt: »Kamera aus! Oder haben Sie etwa eine Drehgenehmigung?«
    Gerd trat einen Schritt zurück, zoomte frech aus dem Weitwinkel auf das zornige Gesicht, dann auf den gezückten Dienstausweis und gab die Frage zurück: »Und Sie, Herr Schiller, haben Sie hier etwa Hausrecht oder so was?«
    »Ganz genau«, sagte Herr Schiller, »das Gebäude gehört vorübergehend zum BKA. Und Sie stören eine Polizeimaßnahme.«
    »Schon wieder! Das tut mir aber leid.« Gerd lächelte charmant. »Darf man fragen, worum es diesmal geht?«
    »Nein«, sagte Schiller und blickte sich auf dem Gang nach Verstärkung um, »nicht mal das dürfen Sie.«
    »Komm doch mal her,

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