Die Nachhut
auch mit in einem der Expertensessel sitzen würde.
»Glückwunsch! Aber danach kommst du wieder her, oder?«
»Vermisst ihr mich etwa schon?«
»Na ja«, antwortete ich halbwegs ehrlich, »ich schon. Haben die anderen gesagt, wann sie ihr Zeug veröffentlichen?«
»Wahrscheinlich gleich in der nächsten Ausgabe. Wenn sie noch etwas Eigenes finden, könnte es sogar eine Titelgeschichte werden: Irgendwas mit Hitler vorne drauf verkauft sich angeblich immer wie von selbst. Und natürlich würden sie alle gern noch den Bunker fotografieren ...«
»Na klar! Aber den Zahn hast du ihnen gezogen, oder?«
»Logisch. Die werden ordentlich zahlen müssen, wenn sie unsere Bilder verwenden. Auch andere Sender haben schon angefragt, sogar international, CNN, History Channel. Vor allem Amerikaner und Engländer sind total verrückt nach dieser Nazikacke und wollen unser Material. Du und Gerd, ihr müsst unbedingt mit Matti reden, damit auch für euch etwas extra herausspringt. Zur Zeit ist alles drin, der Chef küsst uns die Füße. Wir müssen nur vornbleiben!«
»Schön wär's. Hast du etwa selbst schon was ausgehandelt?«
»Ich muss jetzt wirklich, Benny. Machs gut! Und nicht vergessen: 13 Uhr, Kanal 5!«
Sie hatte aufgelegt, ohne meine guten Wünsche für die Aufzeichnung abzuwarten, aber ich nahm ihr das nicht weiter übel - im Gegenteil: Jenny hatte auch mich wieder scharf gemacht. Seit dem trostlosen Vormittag mit Busch war ich drauf und dran, mich nach meinen Platten zu sehnen. Immerhin stand morgen meine zweite Chance im Doro an, ich hatte noch nichts sortiert. Und während der Lektüre der Tagebücher hatte ich mich sogar mal gefragt, ob man den armen Kerlen nicht einfach reinen Wein einschenken und sie danach in Ruhe lassen sollte.
Nach dem Telefonat mit Jenny fand ich solcherlei Skrupel nur noch unprofessionell. Natürlich waren sie eine Sensation. Alle Welt würde jede Einzelheit wissen wollen. Und schließlich hatten wir es ja auch schon mit der Wahrheit versucht, vorsichtig zwar, aber ohne meine Notlüge von der Wochenschau wären sie vielleicht gar nicht mehr am Leben, mal ganz abgesehen von meiner Gesundheit. So wie diese Jungs drauf waren, hätten sie ohne weiteres das Feuer auf die SEK-Leute eröffnet. Mit ihnen selbst wäre dann auch unsere Story gestorben.
Wir mussten dranbleiben, da hatte Jenny Recht. Und während ich noch spekulierte, was ein gedrucktes Videostandbild abwerfen würde, nahm ich die Treppe zu Gabi, bei der es an diesem Vormittag richtig lebendig zuging. Die Stammgäste redeten alle durcheinander. Natürlich gab es nur ein Thema. Und sorgfältig checkte ich den Raum nach Kollegen ab, bevor ich an die Theke trat, hinter der auch die Wirtin sofort Dampf abließ.
»Die janze Gegend voll Polente, sogar aus Bayern. Tausende! Da habta uns vielleicht was injebrockt!«
»Wieso wir?«, fragte ich, aber Gabi weigerte sich, näher darüber nachzudenken. Einer musste schließlich Schuld haben.
»Solls was sein?«
»Ja, eine Frage: Gibt es in der Gegend eine Familie Hoppe?«
»Hoppe?« Sie verdrehte kurz die Augen zur Decke: »Nicht dass ick wüsste. Sind aber auch viele weg. Is ja allet im Arsch hier. Keene Arbeit, keen Umsatz, nischt...«
Ich unterbrach sie kurz, um eine Kanne Kaffee, zwei Flaschen Cola und sechs doppelte Wodka zu bestellen. Sie schlurfte lustlos nach hinten aber schimpfte weiter vor sich hin und über die Verhältnisse. Kein Wunder, dachte ich und kam mir wie einer von diesen blöden Besserwissern aus dem Westen vor: Statt sich über mehr Umsatz zu freuen, stöhnen sie lieber.
»Haben Sie eigentlich einen Ausschankwagen«, fragte ich, als sie zurück war und im Hintergrund die Kaffeemaschine zu gurgeln begann, »so was für Volksfeste?«
»Ja«, sagte sie misstrauisch, »sogar eine Gulaschkanone, noch von die Volksarmee - warum?«
»War nur so eine Idee: Man könnte ja damit einfach mal in den Wald fahren und ein paar hundert Portionen Erbsensuppe an die Polizei verkaufen. Aber egal - Ihre Sache ...«
»Könnte man«, sagte sie, »is aber nicht sauber. Wir waren ja erst auf dieser Demo. Ein Reinfall: Nur Hagebuttentee ...«
Dann stockte sie plötzlich, als könne sie nicht gleichzeitig lamentieren und rechnen, und starrte ins Leere.
»An wen müsste man sich denn wenden, wegen die Erbsen? «
»Die Chefin wohnt bei Ihnen. Apropos, ist Frau Thorwart...«
»Nee«, sagte sie, »die haben vorhin ihr Gepäck abholen lassen. Wollen Sie das Zimmer wieder?«
Auf einmal
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