Die Nachhut
Einsicht nehmen.«
»Und über die Namen?«
»Auch ganz schräg: Bei der Wehrmachtsauskunftsstelle gibt es alles, nur keine Auskünfte. Stell dir vor, ich stand dort mit lauter richtigen Journalisten in einer Reihe, nicht nur so Fernsehheinis wie wir, vor mir der Stern, zwei vom Spiegel hinter mir. Die haben zwar ein ordentliches Fass aufgemacht, Auskunftsrecht der Presse und so weiter, aber selbst für die keine Chance! Nur Angehörige, und dann dauert es Wochen. Mann, wir hätten die Namen gleich wegpiepsen sollen in deinem Interview, dann wüsste jetzt nicht jeder Kollege Bescheid ...«
»Vielleicht. Aber wer denkt denn an so was! Und weiter?«
»Tja, das habe ich die Kollegen auch gefragt. Die waren erst ganz kühl und abweisend, aber als sie hörten, wer ich bin, waren sie wie verwandelt. Scheiße, Benny, wir sind berühmt! Der Sender hat noch gestern eine Pressemitteilung rausgehauen. Alle haben es heute auf Seite eins, einige Tageszeitungen nennen sogar unsere vollen Namen!«
»Nicht schlecht, aber was ist mit den SS-Nummern?«
»Wie gesagt: Auf einmal waren die Kollegen ganz freundlich. Es gebe noch eine Möglichkeit und es wäre ihnen eine Ehre, bla bla ... Nur bräuchten sie unbedingt die Nummern, denn die waren - sorry - bei dem schlechten Ton deiner Aufnahmen kaum ...«
»Das lag nicht an mir, sondern an dem komischen Dialekt.«
»Klar. Natürlich habe ich erst mal nur eine rausgerückt, die von dem klapprigen Böttcher. Und siehe da, eine halbe Stunde später spuckt das Archiv in Hamburg alles aus: Böttcher, Otto, Jahrgang so und so aus Regensburg, vermisst seit April 1945, letzter Dienstgrad irgendwas mit Rudelführer ...«
»Rottenführer.«
»Genau, jedenfalls nichts Besonderes, so der Archivmann.«
Jenny hätte die anderen Nummern gern für sich behalten, aber da hatte sie die Bluthunde der großen Nachrichtenmagazine unterschätzt, die sie bedrängten und behaupteten, eine allein wäre als Beweis völlig wertlos. Sie muss sich redlich geziert haben, denn schließlich rückten die vom Spiegel sogar mit der Wahrheit über ihre Quelle heraus: Es war gar nicht ihr eigenes Archiv, sondern ein Informant direkt aus der Behörde.
»Die haben überall einen sitzen«, schwärmte Jenny und hatte sich auf dem Parkplatz vor dem Bundesarchiv Nummer für Nummer abschwatzen lassen. Der Kontaktmann hatte offenbar Zugang zu einer Datenbank der gesamten SS-Registratur. Anders konnte sich Jenny die Geschwindigkeit nicht erklären, mit der auch Josef Stahl und Konrad Hoppe abgeglichen werden konnten. Beide galten ebenfalls als verschollen.
»Alle komplett, bis auf einen«, sagte Jenny, »mit der Nummer von deinem Freund Fritz kann der Computer nichts anfangen. Wir haben es x-mal probiert. Ich kann sie schon auswendig: Drei-Fünf-Eins-Eins-Vier. Bist du sicher, dass sie stimmt?«
»Ganz sicher. So steht es auch auf seinen Tagebüchern.« Sie lagen vor mir auf dem Bett. »Drei-Fünf-Eins-Eins-Vier.«
»Der Mann aus dem Archiv hat dann noch mal per Hand nach dem Namen gesucht und gleich zwei Karteikarten mit von Jagemanns gefunden, einen Carl Otto, Jahrgang 1900 und einen Friedrich, einiges jünger, also vielleicht dein Fritz. Mehr war aber nicht - nur Namen und Geburtsjahr und bei beiden der Hinweis: Datensatz in Bearbeitung.«
»Merkwürdig, oder?«
»Das fanden die anderen allerdings auch und konnten am Kürzel der Dienststelle sogar entschlüsseln, wer die Akten hat: Irgendein Wolf Jäger vom Außenministerium. Sagt dir das was?«
»Nee, vielleicht schon mal gehört. Ist ja auch egal, oder?«
»Weiß nicht«, sagte Jenny, »ein Kollege von der Woche war von dem Namen wie elektrisiert, und als wir noch mal kurz allein waren, hat er mir seine Visitenkarte zugesteckt. Strakka heißt der Typ und hat so beiläufig wie möglich gefragt, ob Fritz von Jagemann zufällig etwas von einem kleinen Bruder gesagt hätte. Wusste ich aber nicht. Hat er?«
»Nein. Doch, warte: Einmal fragt er in einem Brief an seine Liebste nach irgendeinem Wolfgang und nennt ihn den Kleinen.«
»Na ja. Vielleicht hast du Recht. Als die Spiegelleute vom Telefonieren zurückkamen, hörte Strakka auch sofort wieder davon auf. Weißt ja, wie wichtig und geheim die immer alle tun.«
Dann hatte es auch Jenny plötzlich eilig: Sie müsse noch in die Maske, stöhnte sie aufgeregt, der Sender wolle nach der Reportage wieder so eine Gesprächsrunde bringen. Aufzeichnung sei in einer halben Stunde. Und dreimal sollte ich raten, wer diesmal
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