Die Nachhut
nie weg war und bei den Jungen längst wieder Mode ist, gerade hier in der Gegend. Das ist die Gefahr, die ich meine.«
Enttäuscht lehnte ich mich zurück und verschränkte die Arme. Musste ich jetzt schon meine eigenen Leute von der ewigen Latenz überzeugen, einen alten Gefährten wie Gerd, sensibel und wachsam? Immerhin sah er betreten nach unten.
»Gleich geht’s los.« Du hattest die Fernbedienung in der Hand und schienst dich über meinen verstörten Blick zu wundern: »Ich dachte ja nur, der Bunker interessiert Sie auch.«
War es eigentlich mein Alter, dass du mich so lange gesiezt hast? War dir unsere Begegnung unter der Dusche etwa immer noch peinlich? Hast du wirklich geglaubt, ich hätte eure Aufnahmen noch nicht gesehen? Am liebsten hätte ich - aber egal.
»Das glaubt ihr doch selbst nicht! Der Bunker! Schöne Story - aber denkt ihr auch mal dran, wie viele Leute das für bare Münze nehmen, gerade diese jungen Dorffaschisten ohne Hirn und Haare. Mensch, Gerd, ihr habt auch eine Verantwortung!«
»Jetzt mach aber mal einen Punkt, Ev. Wir haben uns den Scheiß nicht ausgedacht. Und noch mal: Wir reden hier nicht von ein paar jugendlichen Möchtegerns, sondern über vier alte Knacker, die wild in der Gegend rumballern, Geiseln nehmen und - vergiss das bitte nicht - mein Auto geklaut haben.«
»Und sich als Nazis verkleiden. Das ist kein Zufall - nicht in dieser Gegend! Glaub mir: Die haben wieder Oberwasser. Und die Jugend hinter sich. Sonst würde sich das keiner trauen.«
Alfonso brachte die Nudeln. Die Pizza für den jungen Mann brauche noch einen Moment, aber das interessierte dich so wenig wie mein kleiner Disput mit Gerd. Das Mittagsmagazin begann. Eine blonde Moderatorin zählte die Themen auf, die ihre Zuschauer in der nächsten Stunde erwarten durften. Nur deine Erwartungen wurden offenbar bitter enttäuscht.
»Was soll das?« Du sprachst mehr mit der Moderatorin als zu uns: »Was machen die denn? Hast du das gehört, Gerd? Kein Wort über unseren Bunker. Spinnen die jetzt total?« Gerd Busch sah kurz auf, dann wieder tief in meine Augen.
»Meine Güte, Evelyn - wovor habt ihr Angst?«
Der alte Fuchs hatte sofort durchschaut, dass eure Bunkerstory nicht zufällig aus dem Programm geflogen war. Zum Glück kam deine Pizza, das verschaffte mir etwas Luft. Ich wollte Gerd nicht anlügen, so wie er scheinbar nicht begreifen wollte, dass es um mehr ging als ein paar alte Flinten, auch wenn die ihn besonders schwer beeindruckt hatten.
»Angst? Frag mal Alfonso, wie das hier so ist! Ein Funke reicht und es brennt wieder überall. Du weißt es, ich weiß es, wir alle - wenn wir die Augen nicht davor verschließen.«
Ich hoffte sehr, er würde Alfonso nicht wirklich fragen, denn der wollte damit nichts mehr zu tun haben, seit er Ruhe vor ihnen hatte. Niemand wollte das, solange er seine Ruhe hatte. Sogar Busch sah mich an wie eine Gestörte:
»Und du meinst, die vier Alten sind dieser Funke?«
»Ich meine: Es gibt nicht nur die Alten. Es lebt.«
»Ach Ev! Kennst du das Spiel ,Ich sehe was, was du nicht siehst’? So kommt mir das manchmal vor bei dir ...«
»Stimmt genau. Und die Regel lautet, dass ich so lange dran bin, bis es die anderen auch endlich sehen.«
»Die anderen haben aber irgendwann keine Lust mehr.«
Gerd Busch deutete mit dem Kopf in deine Richtung.
»Schau dir Monse an, auch ein junger Kerl, soviel ich weiß kein Nazi und trotzdem macht er sich wegen ein paar Hakenkreuzen nicht verrückt, oder Monse?«
»Was?« Du hattest nicht zugehört, weil du immer noch mit der Fernbedienung beschäftigt warst, als könne nur etwas mit dem Gerät nicht stimmen.
»Evelyn will wissen, ob die vier Opas nächste Woche die Macht übernehmen. Was fürchtest du mehr: ihre Waffen, die Uniformen oder ihr Gequatsche?«
»Ich fürchte, unser Material ist nichts geworden - oder Jenny hat es vermasselt.« Endlich warfst du die Fernbedienung auf den Tisch und schobst dir mit der Hand ein Stück Pizza in den Mund: »Den ganzen Tag kündigen sie den Knaller an und nun bringen sie die 182. Reportage über Promis auf Mallorca. Gestern 25 Prozent Marktanteil. Heute nichts. Ich kapier das nicht! Du etwa, Gerd?«
»Siehst du, es interessiert ihn nicht. Er denkt nur an Quoten und Karriere. Das solltest du auch machen, Ev: Fang die Opas - aber jag nicht noch nebenbei irgendwelche Gespenster!«
Das mit der Karriere fand ich fast so gemein wie deine Ignoranz unerträglich war. Ich kannte etliche Leute
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