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Die Nachhut

Die Nachhut

Titel: Die Nachhut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Waal
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von dir faselte, die schon damals in Bonn ein offenes Geheimnis gewesen sei, begann ich, wahllos Autofahrer anzusprechen. Sie stauten sich in einer bescheidenen Nachmittagsrushhour vor der einzigen Ampelkreuzung der Stadt. Doch niemand fuhr zufällig nach Seesen. Manche Fahrer hoben sogar die Hände, als hätten sie den Namen des Ortes noch nie gehört. Gerd folgte mir jedes Mal bis zum Bordstein und war nun überzeugt, du hättest uns sowieso einen falschen Ort genannt, nachdem deine Kollegen mit Blaulicht vor der Pizzeria aufgetaucht waren. Und eins sollte ich mir auch gleich ein für alle Mal merken: »Alle Frauen über 40 haben einen Schuss, da braucht man sich gar nichts vormachen!«
    Glaub mir, Evelyn: Am liebsten hätte ich mir die Ohren zugehalten. Ich wollte das nicht hören und glaubte ihm kein Wort. Über 40 - du? Dass unser Bunker einfach aus dem Programm geflogen war, schien Gerd dagegen gar nichts mehr auszumachen. Als ich ihn daran erinnerte, sah er mich nur mitleidig an:
    »Was hast du denn gedacht?«
    »Dass der Sender unabhängig ist, das zumindest.«
    Gerd verzog das Gesicht, als hätte er Bauchschmerzen.
    »Ach ja«, sagte ich, als von ihm nichts weiter kam, »wie konnte ich das vergessen: Keinen Millimeter Film über Nazis. Keine Bühne. Am Ende steckst du selbst mit dahinter ...«
    »Stell dich nicht blöder als du bist, Monse! Sie hat es doch selbst zugegeben: Die machen sich ernsthaft Sorgen, es könnte jederzeit wieder auflodern. Dabei - und das allein nervt mich - blasen sie selbst immer wieder in die Glut. Diese Paranoia wegen ein paar jungen Bekloppten kommt mir manchmal vor, als bräuchten sie unbedingt etwas Neues zum Löschen, seit es keine Altnazis mehr in Amt und Würden gibt. Dieser Typ zum Beispiel, mit dem die Thorwart in Bonn etwas hatte, verdankt seine ganze politische Karriere noch echten Nazis. Richter, Politiker, Journalisten. Er hat sie bis in die 80er Jahre hinein reihenweise geoutet und ihnen völlig zu recht den Ruhestand versaut: Da waren richtig schlimme Finger dabei...«
    »Mag ja alles sein, Gerd, aber diese alten Geschichten bringen uns auch nicht weiter, jedenfalls nicht nach Seesen.«
    »Du musst ihnen Geld bieten«, sagte Gerd und nestelte beiläufig einen 20-Euro-Schein aus seiner Brieftasche. ». .. heute ist dieser Typ ein hohes Tier im Auswärtigen Amt und...«
    »... heißt Jäger, ich weiß ...«
    »Mensch, Monse - Respekt! Aber weißt du auch, wer die ganzen Skandale damals exklusiv bekommen hat?«
    »Was weiß ich. Du?«
    Er lachte hysterisch auf: »Dann wäre ich heute vielleicht auch Chefredakteur. Nein. Unser lieber Matti natürlich.«
    »Dann verstehe ich aber erst recht nicht, warum sie es heute lieber unter der Decke halten wollen.«
    »Siehst du, und ich auch nicht.« Gerd schüttelte ratlos den Kopf: »Eigentlich müsste die Thorwart über den Bunker jubeln: Die alte Gefahr, die immer noch in der Tiefe lauert - das kommt denen doch wie bei einer Werbeagentur bestellt, um gedankenlose junge Leute wie dich mal wieder daran zu erinnern, was das Fundament unserer Demokratie ist, nämlich lauter Nazitrümmer. Stattdessen versuchen sie es mit dem gleichen Aufwand geheimzuhalten, mit dem sie dagegen vorgehen. Als würden vier klapprige Gespenster das ganze Land bedrohen. Da komme ich nicht mehr mit. Da läuft irgendetwas anderes ...«
    Ich zuckte die Schultern, stellte mich wieder neben die Ampel und wedelte nun wie ein Idiot mit dem Geldschein, als Gerd plötzlich herzhaft zu lachen begann.
    »Aber dieses Gesicht von der Thorwart vorhin! Das vergisst die ihren Lebtag nicht, wie einer so nüchtern darüber reden kann. Hast du nicht sogar das Wort harmlos benutzt?«
    »Ich habe keine nüchterne Meinung darüber - eher keine!«
    »Eben. Genau das hat sie ja so geschockt.«
    Das ist doch Quatsch, Evelyn, oder? Du hast mich schon richtig verstanden, dass ich Nazis auch noch nie leiden konnte, junge, alte, scheißegal. Was ich sagen wollte, war doch nur, dass man keine Angst mehr vor ihnen haben muss. Vor den vier Alten nicht, und vor den Jungen erst recht nicht. Nie wieder würde so etwas Mode oder gar Mainstream werden. Dafür waren allein ihre Outfits zu blöd, ihre Mädchen zu hässlich und ihre Musik zu scheiße. Im Grunde waren Nazis heutzutage vor allem ein ästhetisches Problem - aber mach das mal einem Cowboystiefel wie Busch klar, dessen neueste Schallplatte wahrscheinlich irgendwas von Hank Williams war.
    Hatte ich wirklich so einen schlechten

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