Die Nachhut
der Mitgliedstaaten zustimmen. Sehr heikel. Einen solchen Antrag hat bisher noch keine einzige Bundesregierung riskiert.«
»Und warum nicht?«
»Weil der Ausgang unsicher ist - und zu teuer. Jedes Land der Dritten Welt hält bei solchen Sachen erstmal die Hand auf ... Egal. Jedenfalls liegen deine Opas nicht falsch, wenn sie sich immer noch im Krieg wähnen. Es gibt ja bis heute nicht mal einen Friedensvertrag. Sie haben eine Meise, aber Recht - verstehst du? Das ist das Problem.«
»Und Zwei-plus-Vier, diese ganzen Verträge?«
»... nicht mehr als eine nette Geste, rein völkerrechtlich. Es geht darin immer nur um die Akzeptanz der Wiedervereinigung, die Festschreibung der Grenzen und den Abzug der Besatzungstruppen. Außerdem stand Deutschland im Mai 45 nicht nur mit den vier Siegermächten im Krieg, sondern mit fast allen Ländern Europas, einigen mehr in der Welt - und steht es noch ...«
Wahrscheinlich schaute ich ihn an, als könne ich kein Wort glauben, als habe er versprochen, seine Frau nun doch noch zu verlassen. Dieser Ton, sein eindringlicher Singsang. Ich kannte das schon. Und - ja, ich vermischte es immer noch.
»Aber die Alliierten sind doch wirklich abgezogen ...«
»... und können theoretisch jederzeit wiederkommen, auf ihre Rechte pochen und mit uns machen, was sie wollen.«
»Aber nur theoretisch!« Endlich schien ich den Haken gefunden zu haben: »Theoretisch, du sagst es ja selbst!«
»Klar - aber das ist doch kein Zustand! Wir können uns außenpolitisch aufspielen, wie wir wollen, im Kosovo, im nahen Osten, überall, letztlich ist das derzeit alles nur ein Witz.«
Mir fiel nichts weiter ein, was ich ihm noch entgegenhalten konnte. Seine außenpolitischen Ambitionen kannte ich gut genug: Deutschland für immer im Sicherheitsrat, er selbst vielleicht UN-Botschafter in New York, von der Art waren seine Träume. Nicht schlecht für eine Laufbahn, die als Steinewerfer begonnen hatte und nun als Staatsekretär im Außenministerium in einer gewissen Sackgasse steckte. Da konnte er in Interviews noch so lässig tun: Jeder habe das Recht auf Jugendsünden, dürfe sich weiterentwickeln. So ähnlich stellte er sich das offenbar auch für Deutschland vor: Mit den eigenen bitteren Erfahrungen dem Frieden dienen, so redete er gern.
»Und niemand weiß davon?«
»Der Status quo an sich ist kein Geheimnis, es ist nur ...«
Er zögerte kurz. Und wenn er mir gleich erklärt hätte, wir müssten jeden Moment mit einem atomaren Vergeltungsschlag für Auschwitz rechnen, dann hätte ich ihm das wahrscheinlich auch abgenommen: Warum sollte es dafür so etwas wie Verjährung geben, wenn es nicht mal Frieden gab? Schuld waren wir sowieso. Ausgerechnet mir musste das niemand erklären.
»Es ist - wie soll ich sagen? Wir arbeiten seit Generationen daran. Schon Brandt wollte die Klauseln weghaben. Jede Regierung hat es mehr oder weniger intensiv versucht, jetzt sind wir ganz nah dran, kurz vor einem Durchbruch. Damit könnten wir den ganzen alten Mist ein für alle Mal beenden.«
»Den alten Mist?« Ich war ehrlich entsetzt: »Ausgerechnet du willst den Schlussstrich ziehen?!«
»Himmel, Evelyn, hör doch erst mal zu: Es geht nicht um Schuld oder Verantwortung, sondern um ein Stück Papier.«
»Egal wie oder worauf - wir können keinen Frieden mit unserer Vergangenheit schließen! Niemals!«
»Aber wir können den Krieg beenden. Nur darum geht es, eine reine Formsache, wenn du so willst. Einige unserer Verhandlungspartner sind am Wochenende auch in Berlin, quasi im Schatten der Blitzlichter. Geheimdiplomatie, verstehst du?«
»Verstehe. Und vier klapprige Nazis stören den Frieden.«
»Mehr als das: Sie können alles gefährden. Alles! Die Presse macht doch jetzt schon aus jeder Schlägerei einen rassistischen Überfall. Was denkst du, wenn erst die New York Times Wind von der Sache bekommt: Bewaffnete SS-Männer, die auf amerikanische Austauschschüler schießen. >The Nazis< - das finden die doch immer noch in jeder Schlagzeile schick.«
»Bleib fair: Das wussten die Alten nicht.«
»Egal! Das Schlimme ist, dass diese Verrückten sich auch noch so benehmen, als sei der Krieg in vollem Gange.«
»Na ja, nichts anderes hast du mir gerade erklärt, oder?«
»Eben! Deshalb müssen wir sie unbedingt kriegen, egal wie!«
»... tot oder lebendig ...«
»Und wenn schon, Ev! Das wäre in dem Alter doch auch egal, oder? Jedenfalls hast du volle Rückendeckung. Auch von ganz oben, darauf kannst du dich
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