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Die Nachhut

Die Nachhut

Titel: Die Nachhut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Waal
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Drehgenehmigung gehabt hätten oder die Polizisten nicht provozieren wollten, die vor der Synagoge Tag und Nacht Wache hielten - das hätte ich alles verstanden. Doch ihre Sorge galt uralten Vorurteilen, denen sie auf keinen Fall neue Nahrung geben wollten. Deshalb verzichteten sie lieber auf den üblichen Außenschwenk. Völlig irre! Die Banken und die Juden. Kein Mensch stellte da noch irgendeinen Zusammenhang her, im Gegenteil: Die meisten Mitglieder der Gemeinde - darum vor allem war es auch in dem Interview gegangen - waren arme Schlucker aus Russland, die ihren Glauben über Jahrzehnte verlernt oder verleugnet hatten. Noch absurder als der Gedanke, diese bescheidenen Leute hätten Geld zu verleihen, kam mir nur vor, dass ein Vollblutjournalist wie Busch deshalb vorauseilend Fakten unterschlug. Die Frage war sogar, wer hier eigentlich in alten Mustern dachte?
    Während ich schon das Licht abbaute und uns der Rabbi noch einmal die Leviten las, was unsere spezielle Verantwortung betraf, war es dann zum Eklat gekommen, zumindest interpretierte ich Buschs Blicke so, denn letztlich war es gar keiner. Ich hatte nur nicht verstanden, wieso der Rabbi ständig auf die Polizisten vor der Synagoge anspielte und dabei betonte, dass so etwas überhaupt wieder nötig sei - »ausgerechnet hier«. Bisher hatte ich immer gedacht, diese Vorsichtsmaßnahmen galten eher internationalen Terroristen. Und genau das hatte ich gesagt, mehr nicht.
    »Natürlich«, hatte der Rabbi darauf geantwortet und war - im Gegensatz zu meinen um Luft ringenden Kollegen - ganz gelassen geblieben: »Ich weiß schon, was Sie meinen, junger Mann. Sie und ihre Generation wollen nichts mehr mit dem Holocaust zu tun haben. Sie müssen das auch nicht. Es ist ihr gutes Recht. Ich bitte Sie nur um Verständnis, dass es für uns nicht so einfach ist.«
    Seine Augen waren dabei regelrecht mild geworden, als wüsste er genau, dass es unsereins manchmal nicht mehr hören kann: Opa klar, Oma wahrscheinlich auch, alle damals, die es wussten oder nicht wissen wollten, die Komplizen waren oder Egoisten genug, um keine Helden zu sein. Wir aber kannten die Zahlen, die Schicksale, fast jedes Detail. In der Schule, im Konfirmandenunterricht, im Fernsehen. Auf Klassenfahrt, im Museum oder im Ausland: immer das Gleiche. Durch die ständige Wiederholung wurde das Unvorstellbare nicht vorstellbarer, sondern immer abstrakter, und die grausamen Fakten gingen irgendwann unter wie ein genialer Loop im Overkill von zu vielen Rhythmuseffekten.
    Der Rabbi hatte das verstanden - Busch nicht. Mir und meiner ganzen Generation hatte er Absolution erteilt - Busch nicht. Seine Altersgenossen nickten zwar demütig und bekannten sich schon mit geschlossenen Augen schuldig, aber wenn es mal drauf ankam, sahen sie immer noch lieber weg und redeten sich ein, das sei eine Art Prophylaxe, keine Synagogen zwischen Banken zu drehen, zum Beispiel, oder keinen Millimeter Film über Nazis.
    »Gut«, sagte ich bitter, »lassen wir es eben. Wenn es Matti so will! Befehl ist Befehl. Führer befiel - wir folgen!«
    »Sehr witzig«, ätzte Busch zurück, aber für ihn schien die Sache ein für alle Mal erledigt und damit auch für uns.
    »Er hat Recht«, sagte Jenny, »wenn es keiner sendet, hat es wirklich keinen Zweck. Fahren wir nach Hause.«
    Jenny mochte zwar schon ein paar Stunden länger Zeit gehabt haben, sich damit abzufinden, aber wie schnell sie nun einlenkte, überraschte mich fast noch mehr als Buschs Verhalten. Ihn wiederum schien das gar nicht zu wundern. Beinahe zufrieden sah er ihr hinterher, als sie mit ihrem Mietwagen losfuhr, während ich noch unser restliches Zeug in den Wagen schleppte.
    Noch langsamer als sonst schlich er danach über die Autobahn Richtung Berlin, und ich spürte, es arbeitete auch noch in ihm, sonst hätten wir uns nicht so verkrampft angeschwiegen. Inzwischen erklärte sogar das Radio den Bunker offiziell für eine Ente. Ein Moderator spekulierte sogar, ob nicht eine Satirezeitschrift dahinterstecke, und sparte kaum mit Hohn und Häme für unseren Sender. Natürlich vergaß er dennoch nicht, mehrmals zu versichern, es sei ein ziemlich geschmackloser Scherz gewesen. Allein die Kosten für den Polizeieinsatz bezifferte das Innenministerium mit zwei Millionen Euro, Überstunden nicht mitgerechnet.
    Busch schaltete das Radio aus. Sein Schnurrbart zuckte, und als er merkte, dass ich ihn beobachtete, wies er mit einem Nicken nach vorn. Ein paar hundert Meter vor uns

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