Die Nachhut
verlassen.«
Die Lizenz zum Töten. Einen Augenblick kam ich mir tatsächlich wie James Bond vor und schämte mich ein wenig, meinen Geheimauftrag durch gedankenlose Plapperei mit Fernsehleuten gefährdet zu haben. Erst als Wolf mit einem Kuss zum gemütlichen Teil des Abends übergehen wollte, dämmerte mir, was er gerade von mir verlangt hatte oder in Kauf nehmen würde: Wir sollten notfalls vier alte Opas einfach über den Haufen schießen.
Irritiert zog ich meinen Hals zurück. Wollte er das wirklich oder dachte er jetzt nur noch an Sex? So, wie er meinem Blick standhielt, schien für ihn beides eine legitime Alternative zu sein. Sein Rasierwasser war immer noch das gleiche und leicht verwirrt gab ich nach: Immerhin stand mehr auf dem Spiel als die Hirngespinste von ein paar alten Männern. Es ging auch um mich, und nicht zuletzt um den Frieden in der Welt.
Mittwoch
Busch und ich saßen noch beim Frühstück, als Jenny hereinplatzte. Sie hatte für jeden ein 3er-Pack frische Unterhosen dabei und zum Glück nicht die Nerven, uns lange auf die Folter zu spannen.
»Was soll ich sagen? Alles war fertig. Matti selbst hat Schnitt und Vertonung überwacht, extra Sprecher da, alles vom Feinsten - als er einen Anruf bekam und verschwand.«
»Und dann?«
»Nichts dann. Ich saß schon in der Maske für den Expertentalk, als der Chef vom Dienst plötzlich den Film über Mallorca ins Programm hob, angeblich auf Anweisung von Matti.«
Den ganzen Nachmittag hätten sie noch gewartet, die große Bunkerreportage jederzeit abspielbereit, danach die Talkrunde live. Doch Matti habe nach der letzten Anweisung nichts mehr von sich hören lassen. Professor Zeitz war auch nicht erschienen, auf dessen Verspätung es Jenny zunächst geschoben hatte.
»Vormittags war der noch total heiß auf die neuen Bilder. Aber als wir ihn dann endlich erreicht haben, entschuldigte er sich lapidar mit Terminproblemen, keine Zeit, wegen irgend so einer Konferenz am Wochenende ...«
»Na toll«, warf ich ein und dachte an die kommende Nacht im Doro. »Terminprobleme habe ich auch. Und nun?«
»Wir sollen zurückkommen. Ende. Aus. Story gestorben.«
Jenny sah Busch an, als rechnete sie mit Widerspruch von ihm. Ich erwartete das eigentlich auch, jedoch vergeblich:
»Tja«, sagte er nur, »wenn das die Anweisung vom Chef ist ...«
Es wäre das erste Mal gewesen, dass sich Busch um Anweisungen geschert hätte. Einfach lächerlich. Das kam ihm offenbar auch selbst so vor, aber er zuckte nur mit den Schultern:
»Schaut mich nicht so an! Wir kriegen keine Minute länger bezahlt. Und überhaupt: Ich hab’s ja gleich gesagt.«
Mir persönlich konnte nichts Besseres passieren: Ich würde pünktlich zurück in Berlin sein, am Abend lässig auflegen und ich dachte sogar einen Moment an dich. Vielleicht könnte man sich nach dem schnellen Ende dieser Geschichte ja auch mal unverkrampfter Wiedersehen. Hätte wir doch gekonnt, Evelyn, oder? Aber irgendwas verschob die üblichen Prioritäten.
»Willst du dir das wirklich gefallen lassen?«, fragte ich Busch. »Du hast doch alles mit eigenen Augen gesehen? Mann, es sind auch deine Bilder, die sie unterschlagen!«
Er wollte etwas entgegnen, aber winkte nur ab.
»Scheiße Gerd. Dein Problem ist: Du willst es nicht wahrhaben. Das ist so ein politisches Ding bei dir. Genau wie bei der Thorwart oder neulich mit dieser Synagoge.«
»Was hat das denn damit zu tun? Du spinnst ja!«
Es hatte genau damit zu tun und war erst ein paar Wochen her. Ein anderer Sender hatte uns für ein Interview mit einem Rabbiner in Leipzig gebucht. Nie zuvor hatte ich Gerd dermaßen befangen erlebt. Er war ein völlig anderer Mensch gewesen, der ebenso wie der fremde Redakteur kaum ein Wort herausbekommen hatte.
»Du hast sogar absichtlich keine Antextbilder gemacht!«
»Du weißt genau warum. Der Redakteur wollte es nicht.«
»Schnickschnack! Das hätte dich sonst auch nicht interessiert. Immer Antextbilder, immer Außenschüsse - dass ich nicht lache! Du wolltest die Umgebung einfach keinem zeigen!«
»Eine Synagoge zwischen lauter Banken - deshalb! Benutz mal deine Birne, Monse, dann kommst du vielleicht selbst drauf!«
Später war ich natürlich darauf gekommen. Aber damals hatte ich auf die Schnelle gar nicht um so viele Ecken denken können, wie es Busch und dem etwa gleich alten Redakteur offenbar eigen war. Ich dachte nur: Wie wollen die das jemals schneiden? Niemand springt so hart in einen O-Ton.
Wenn sie keine
Weitere Kostenlose Bücher