Die Nacht - Del Toro, G: Nacht - Night Eternal (Bd. 3 The Strain Tril.)
locken – das ist euch ja wohl klar, oder?«
»Man kann, wenn man etwas hat, was sie wollen«, erwiderte Gus. »Und genau deshalb behalt ich dich im Auge, Mann.«
Aus dem Tagebuch von Ephraim Goodweather
Lieber Zack,
dies ist das zweite Mal, dass ich dir einen Brief schreibe, den kein Vater jemals schreiben sollte: einen Brief, in dem ich für immer Abschied nehme. Den ersten habe ich geschrieben, kurz bevor ihr in den Zug eingestiegen seid, der euch aus der Stadt heraus und in Sicherheit bringen sollte. Ich habe darin zu erklären versucht, warum ich nicht mit dir komme. Warum ich in einen Kampf ziehe, den ich nicht gewinnen kann.
Und zwei Jahre später bin ich immer noch hier.
Und kämpfe immer noch.
Sie haben dich mir auf die furchtbarste Art weggenommen, die ich mir vorstellen kann. Zwei Jahre lang habe ich versucht, dich aus den Klauen des Meisters zu befreien. Zwei Jahre lang habe ich um dich geweint. Du denkst, ich bin tot. Aber noch lebe ich. Und ich lebe nur für dich.
Ich schreibe das für den Fall, dass du mich überlebst. Und dass der Meister mich überlebt. Wenn das geschieht – es wäre das schlimmstmögliche Ende, das ich mir vorstellen kann –, dann habe ich mich eines Verbrechens gegen die Menschheit schuldig gemacht. Dann habe ich die letzte Hoffnung unserer Spezies auf ein Leben in Freiheit verspielt. Aber ich habe es für dich getan. Dafür, dass du ein Mensch bleiben kannst.
Mir bleibt nur zu hoffen, dass du inzwischen erkannt hast, wie böse das Geschöpf ist, das dich gefangen hält. Die Geschichte wird von den Gewinnern geschrieben, heißt es, also schreibe ich heute nicht um der Geschichte, sondern um der Hoffnung willen. Wir hatten einmal ein gemeinsames Leben, Zack, ein wunderschönes Leben – und deine Mutter war ebenfalls Teil dieses Lebens. Bitte vergiss dieses Leben nicht: das Licht der Sonne, die Freude, die wir miteinander teilten. Das war deine Jugend. Du musstest viel zu schnell erwachsen werden, und ich verstehe nur zu gut, wenn du dich fragst, wer dich wirklich liebt oder wer das Beste für dich will. Ich verzeihe dir alles. Und ich bitte dich, mir den Verrat zu verzeihen, den ich für dich begehe. Mein Leben ist nur ein geringes Opfer, wenn ich deines dafür retten kann, doch das Leben meiner Freunde, das Leben aller Menschen – dieses Opfer ist gewaltig.
Vieles habe ich in diesen zwei Jahren aufgegeben, aber dich habe ich nie aufgegeben. Ich bedaure nur, dass ich den Mann, der du einmal werden wirst, nie kennenlernen darf. Ich hoffe so sehr, dass du immer auf dem Pfad des Guten bleibst.
Eines ist noch zu sagen. Wenn mein Plan wirklich gescheitert ist, dann wurde ich verwandelt. Dann bin ich jetzt ein Vampir. Und dieser Vampir wird zu dir, wird zu seinem geliebten Sohn kommen. Und er wird nicht damit aufhören – nicht, bevor du ihn erlöst. Solltest du das inzwischen getan haben, dann danke ich dir. Bitte fühl dich nicht schuldig – du hast das Richtige getan. Jetzt habe ich Frieden.
Solltest du mich jedoch noch nicht getötet haben, dann tu das bitte so schnell wie möglich. Und töte auch deine Mutter.
Wir lieben dich, Zack.
Wenn du mein Tagebuch dort gefunden hast, wo ich es für dich hinterlegt habe – auf deinem Bett im Haus deiner Mutter in der Kelton Street –, dann hast du hoffentlich auch die Tasche unter dem Bett gefunden. Die Silberwaffen darin sollen dir helfen, zu überleben. Sie sind alles, was ich dir hinterlassen kann.
Dies ist eine grausame Welt, Zachary Goodweather. Vielleicht kannst du sie eines Tages zu einer besseren machen.
Dein Vater
Dr. Ephraim Goodweather
Columbia University
Eph hatte auf Gus’ Essen verzichtet, um in einem der leeren Seminarräume – nicht weit entfernt von jenem, in dem Joaquin lag – den Brief an Zack zu schreiben. Jetzt las er ihn noch einmal durch. Versuchte, ihn zu lesen, wie Zack ihn lesen würde. Was würde ihm dabei durch den Kopf gehen?
Mein Vater hat mich geliebt.
Mein Vater hat seine Freunde und die ganze Menschheit verraten.
Ihm wurde klar, was er seinem Sohn damit auf den Weg gab. Er legte ihm das Gewicht einer verlorenen Welt auf die Schultern.
Mein Vater hat die Versklavung aller gegen die Freiheit eines einzelnen eingetauscht.
Tat er das wirklich aus Liebe? Oder vielleicht doch aus einem anderen Grund?
Das Ganze war ein einziger Betrug. Selbst wenn der Meister seinen Teil der Abmachung einhielt, würde Zack als Sklave in einer Welt der Vampire leben – als menschlicher Sklave.
Eph
Weitere Kostenlose Bücher