Die Nacht - Del Toro, G: Nacht - Night Eternal (Bd. 3 The Strain Tril.)
Zeit, bis er auch ihnen auf die Spur kommen würde.
Der Meister spähte in alle Ecken und Winkel seines Reiches und sah, dass es gut war.
Er griff nach dem wolfsköpfigen Gehstock, der vor langer Zeit einmal Jusef Sardu gehört hatte, bevor er in den Besitz von Abraham Setrakian übergegangen war. Der Vampirjäger hatte ihn zu einem tödlichen Silberschwert umfunktioniert, doch nun war er eine Trophäe, ein Symbol für den Sieg des Meisters. Das wenige Silber im Knauf des Stocks störte den Herrn der Vampire nicht, aber er achtete darauf, den Wolfskopf nicht zu berühren.
Mit dem Stock in der Hand stieg er die Treppe zum Schlossturm hinauf, dem höchstem Punkt im Central Park, und trat von dort auf den Balkon hinaus. Durch die nackten Baumspitzen, den dichten Nebel und den Smog hindurch sah er die düsteren Fassaden der East und West Side. Tausende von leeren Fenstern, die seinen Blick erwiderten wie die kalten, toten Augen einer vergangenen Zeit.
Über ihm die dunklen Wolken, die ihren Schmutz auf die besiegte Stadt fallen ließen. Unter ihm, wie ein Bogen um das felsige Fundament herum aufgereiht, seine Leibgarde. Und jenseits davon ein Meer aus Vampiren, die alle dem telepathischen Ruf des Meisters gefolgt waren, sich auf der großen Wiese vor Belvedere Castle versammelt hatten und ihren Gebieter nun mit schwarz glänzenden Augen ansahen.
Kein Rufen. Keine Begrüßung. Kein Jubel. Eine schweigende Armee, die auf ihre Befehle wartete.
In diesem Moment erschien Kelly Goodweather neben dem Meister; auch sie hatte er gerufen. Hinter ihr stand Zachary, ihr Sohn, der aus reiner Neugier gekommen war.
Und dann sandte der Meister seinen Befehl hinaus. Er bestand aus einem Wort.
Goodweather.
Es war keine Antwort zu hören. Die einzige Antwort seiner Untertanen war sofortiges Handeln. Schon bald würde der Meister Ephraim Goodweather in seiner Gewalt haben. Und ihn töten. Erst dessen Seele, dann dessen Körper.
Und es würde ihm eine wahre Freude sein.
Roosevelt Island
Bevor Roosevelt Island in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts zu einer luxuriösen Wohnsiedlung mitten im East River umfunktioniert wurde, hatten dort über hundert Jahre lang ein Gefängnis, ein Hospital für Pockenkranke und ein »Irrenhaus« gestanden.
Die Insel war also immer schon eine Zuflucht für New Yorks Ausgestoßene gewesen. Und einer dieser Ausgestoßenen war nun Vasiliy Fet.
Vasiliy hatte entschieden, lieber allein auf der wenige hundert Meter schmalen und drei Kilometer langen Insel zu leben als mit den anderen in der von Vampiren befallenen Stadt oder einer ihrer Vororte. Ja, allein der Gedanke, sich im besetzten New York zu verstecken, widerte ihn an. Und tatsächlich hatten die wasserscheuen strigoi keine Verwendung für die zwischen Manhattan und Queens gelegene Insel; sie hatten sie während des Umsturzes einfach von allen Bewohnern geräumt und in Brand gesetzt. Die Seilbahnkabel zur 59th Street waren gekappt und die Roosevelt Island Bridge an ihrem Ausgangspunkt in Queens zerstört. Die U-Bahn-Linie F verlief zwar nach wie vor unter dem Fluss hindurch zur Insel, doch die dazugehörige Station war stillgelegt und zugemauert.
Der frühere New Yorker Kammerjäger kannte jedoch noch einen anderen Weg auf die Insel: Ein schmaler Schacht, Teil der damaligen, mit Luftdruck betriebenen Müllbeseitigungsanlage, führte vom U-Bahn-Tunnel direkt in das Zentrum von Roosevelt Island.
Der Großteil der Gebäude auf der Insel lag in Trümmern, darunter auch die Apartmenthäuser, die einst einen herrlichen Ausblick auf Manhattan geboten hatten. Aber unter dem ganzen Schutt hatte Vasiliy einige noch halbwegs intakte Kellerwohnungen entdeckt, vier Apartmenteinheiten miteinander verbunden und sich damit eine kleine, unter der Erde verborgene Zuflucht geschaffen. Die Rohre und Kabel, die unter dem Fluss hindurchführten, waren nicht beschädigt, und so verfügte er, nachdem er die Anschlüsse repariert hatte, auch über Wasser und Strom.
Die Schmuggler setzten Vasiliy und den russischen Nuklearsprengkopf im Schutz des Mittagslichts am nördlichen Ende der Insel ab. Vasiliy holte den Pritschenwagen, den er in einem Schuppen unweit des Strandes abgestellt hatte, und zog den Sprengkopf zusammen mit seinem Rucksack und einer kleinen Styropor-Kühlbox durch den strömenden Regen in sein Versteck.
Er freute sich darauf, Nora wiederzusehen, ja, ihm war bei dem Gedanken an sie sogar etwas schwindelig. War das so, wenn man zu seiner
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