Die Nacht - Del Toro, G: Nacht - Night Eternal (Bd. 3 The Strain Tril.)
hatte seiner Mutter zu ihren Lebzeiten den nötigen Respekt versagt. Warum kümmerte er sich nun, da sie tot war, etwas anderes war, so aufopferungsvoll um sie? Um ehrlich zu sein: Er hatte keine Ahnung. Er wusste nur, dass ihm die Besuche hier unten im Keller den nötigen Ansporn gaben, dem Meister weiter in den Arsch zu treten. Jeder Tropfen Blut, den er seiner Mutter gab, nährte zugleich seinen Wunsch nach Rache.
Er legte eine der CDs in die superteure Stereoanlage, die er in einem Auto voller Leichen gefunden und hier unten im Keller an diverse Boxen angeschlossen hatte, und Javier Solís begann »No te doy la libertad« zu singen, ein ebenso zorniger wie melancholischer Bolero, der bestens zur der Scheiße passte, in der sie alle steckten.
»Gefällt es dir, madre ? Erinnerst du dich daran?«
Natürlich war ihm klar, dass sie kein Wort von dem verstand, was er sagte, aber … Hey, sie war seine Mama!
Er ging wieder zu ihrer Zelle, streckte den Arm aus, wollte das Helmvisier schließen – als ihm ein seltsamer Ausdruck in ihren Augen auffiel.
Irgendetwas – irgendwer – sah ihn aus den Augen seiner Mutter an.
Und Gus wusste, was das bedeutete.
Ich schmecke dich, mein Junge , ertönte die Stimme des Meisters in seinem Kopf. Ich schmecke dein Blut und deine Sehnsucht. Ich schmecke deine Schwäche. Ich weiß, mit wem du im Bunde bist, mein kleiner Bastardsohn …
Die Augen seiner Mutter fixierten ihn und sie waren so leblos wie immer – und doch leuchteten sie wie das rote Licht an einer Videokamera im Aufnahmemodus.
Es hatte keinen Sinn, der Präsenz, die sich in seiner Mutter manifestiert hatte, etwas entgegenzubrüllen – das war Gus klar. Also versuchte er, seine Gedanken von jedem Ballast zu befreien. Versuchte, der lockenden Dunkelheit zu widerstehen. Ganz so, wie es ihm Abraham Setrakian geraten hätte …
Ah, der gute alte Professor! Er hatte noch so viel mit dir vor. Aber jetzt … Wenn er dich doch nur hier sehen könnte – wie du deine Mutter mit Blut versorgst, so wie er das Herz seiner toten Ehefrau mit Blut versorgt hat. Er hat versagt, Gus. Und du wirst auch versagen.
Gus konzentrierte sich auf das Bild seiner Mutter in jungen Jahren. Nur an nichts anderes denken! An nichts anderes!
Führ mich zu deinen Freunden, Augustin Elizalde. Ich werde dich dafür fürstlich entlohnen. Willst du wie ein König leben – oder wie eine Ratte? Entscheide dich. Und entscheide dich schnell. Ich werde dir ein solches Angebot nicht noch einmal machen.
»Verschwinde aus meinem Kopf, Arschloch!«, flüs terte Gus.
Und was, wenn ich sie dir zurückgebe – deine madre ? Ihr Geist ist in mir wie der von Millionen anderer Menschen. Ich kann sie finden und dir wiederbringen …
In diesem Moment waren die Augen seiner Mutter wieder wie die Augen eines Menschen: weich, schimmernd vor Tränen, voller Schmerz.
» Hijito «, kam ihre dünne Stimme aus dem Helm. »Mein Sohn. Wo bin ich? Was machst du mit mir?«
Und im selben Moment stürzte das alles auf Gus ein: der nackte Körper seiner Mutter, der Irrsinn, die Schuld, das Grauen … »Nein!«, schrie er, streckte seine zitternde Hand durch die Stangen und schlug das Helmvisier zu. Und spürte, wie ihn eine Welle der Erleichterung durchströmte.
Das Lachen des Meisters dröhnte aus dem Helm, dröhnte in seinem Kopf – doch nach einer Weile verklang es. Ein Echo irgendwo in der Ferne.
Gus sank in die Knie und legte den Kopf in die Hände.
Das war nicht meine madre . Das war nur ein verdammter Trick!
Der Meister hatte versucht, Gus’ Aufmerksamkeit so lange zu fesseln, bis er wusste, wo sich sein Widersacher befand. Um ihm dann seine Vampirarmee auf den Hals zu hetzen …
Lass dich nie mit dem Teufel ein! Das wusste er nur zu gut. Was hatte das Monster gesagt? Willst du wie ein König leben? Ja, als König einer toten Welt. Als König von gar nichts. Aber hier unten – hier war er am Leben. Hier war er caca grande . Die Scheiße in der Suppe des Meisters.
Plötzlich hörte Gus Schritte im Tunnel. Er ging zur Tür und sah die Lichter von Taschenlampen.
Zuerst erkannte er Vasiliy. Dann Goodweather. Gus hatte den Kammerjäger zum letzten Mal vor ein oder zwei Monaten gesehen; der Doc dagegen hatte sich rar gemacht – und sah inzwischen noch beschissener aus: Er war kreidebleich und zog ein Bein nach.
Weder Vasiliy noch Eph hatten gewusst, was ihr alter Kampfgefährte Gus hier im Keller versteckt hielt. Erschrocken blickten sie auf die groteske
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