Die Nacht - Del Toro, G: Nacht - Night Eternal (Bd. 3 The Strain Tril.)

an.
    Eph erwiderte den Blick des strigoi und nickte kaum merklich.
    Nach einer Weile wandte sich Quinlan Vasiliy zu. Ich bin in der Hoffnung hierhergekommen, dass wir zu einer Einigung gelangen.
    Kurz darauf saßen sich Quinlan und Vasiliy in der riesigen Kuppelhalle der Universitätsbibliothek an einem der großen Lesetische gegenüber.
    »Du hilfst uns, in das Lager zu kommen – und ich gebe dir das Buch zu lesen«, sagte der Kammerjäger. »Mehr gibt es nicht zu verhandeln.«
    Ihr wisst, dass euch dort Hunderte von strigoi und menschlichen Wachen erwarten?
    »Ja, wissen wir. Hilfst du uns trotzdem?«
    Ja, ich helfe euch.
    Vasiliy öffnete den Reißverschluss seines Rucksacks und zog ein mit dickem Stoff umwickeltes Bündel heraus.
    Du trägst es bei dir?
    »Kann mir nicht vorstellen, wo es sicherer wäre. Versteckt im Licht, wie es so schön heißt. Wer das Buch will, muss erst an mir vorbei.«
    Eine echte Herausforderung.
    Vasiliy runzelte die Stirn. Nahm ihn der Vampir etwa auf den Arm? Er wickelte das Buch aus dem Stoff. »Hier bitte, das Occido Lumen .«
    Ehrfürchtig strich Quinlan mit der Hand über den Ledereinband.
    »Ich habe das Silber vom Einband entfernt«, sagte Vasiliy. »Und dabei den Rücken etwas ramponiert. Aber das ist ja nicht weiter schlimm, oder?«
    Wo ist das Silber jetzt?
    »Hab ich versteckt. Kann ich aber jederzeit holen, wenn du willst.«
    Du bist voller Überraschungen, Kammerjäger.
    Vasiliy zuckte mit den Achseln.
    Der alte Mann hat eine gute Wahl getroffen. Du hast ein ehrliches Herz – es weiß, was es weiß, und es handelt dementsprechend. Geradeheraus und aufrichtig. Eine größere Weisheit ist schwer zu finden.
    Jetzt schlug Quinlan das vor ihm liegende Occido Lumen auf, wobei er die Seiten mit einem Stift umblätterte, um nicht mit dem Silberschnitt in Berührung zu kommen.
    Es war das heilige Buch der strigoi . Es berichtete von der Schöpfung und der Geschichte der Vampire und enthielt auch einige Passagen zu Halbblütern, wie er selbst einer war. Mit demselben Interesse wie ein Mensch, der plötzlich die wahre Geschichte über die Herkunft und die Geheimnisse seiner Gattung vor Augen hat, beugte sich Quinlan über den Text.
    Es wird einige Zeit dauern. Es ist nicht leicht zu lesen.
    »Was du nicht sagst.«
    Es gibt seine Geheimnisse nicht auf den ersten Blick preis. Sie sind in den Abbildungen und den Wasserzeichen verborgen. Meine Augen sind geübter darin, diese Geheimnisse zu entschlüsseln als deine. Dennoch wird es einige Zeit dauern.
    »Und Zeit ist genau das, was wir nicht haben. Wie lange?«
    Die roten Augen starrten Vasiliy an. Ich weiß es nicht.
    »Na schön, wir laden inzwischen die Waffen ein. Ich gebe dir eine Stunde – dann fahren wir los. Wir müssen Nora da rausholen!«
    Vasiliy stand auf und verließ die Bibliothek. Dasverdammte Buch, der Meister, das Ende der Welt – all das war ihm im Augenblick völlig egal. Er wollte nur Nora retten.
    Im Halbdunkel der Bibliothek wandte sich Quinlan wieder dem Occido Lumen zu und begann zu lesen.

ZWEITES ZWISCHENSPIEL
    Ozryel
    Es gab einen dritten.
    Jedes der heiligen Bücher – die Tora, die Bibel, der Koran – berichtet davon, wie Sodom und Gomorra zu Fall gebracht wurden. So auch das Occido Lumen .
    Im achtzehnten Kapitel der Genesis erscheinen Abraham drei Erzengel in menschlicher Gestalt. Von zweien heißt es, dass sie zu den beiden verruchten Städten weiterziehen und in Sodom von Lot zu einem Mahl in sein Haus gebeten werden. Kurz darauf ist das Haus von den aufgebrachten Männern Sodoms umringt – die von den Erzengeln geblendet werden, bevor die Stadt dem Erdboden gleichgemacht wird.
    Vom dritten Erzengel erfährt man in der Bibel nichts. Aber im Occido Lumen .
    Dies ist seine Geschichte.
    Fünf Städte residierten auf der weiten fruchtbaren Jordanebene, nicht weit vom heutigen Toten Meer entfernt. Von diesen fünf Städten war Sodom die schönste und stolzeste – ein Monument des Reichtums und der Pracht. Über Jahrhunderte hatte sie sich entlang der Kanäle ausgebreitet, die sie mit Wasser versorgten, bis sie schließlich die Form einer fliegenden Taube angenommen hatte, und in dieser Form wurde sie im Jahre 2024 vor Christus von einer Mauer umgeben. Eine zwölf Meter hohe und zwei Meter breite Mauer aus gebackenen Tonziegeln, mit weißem Gips verputzt, so dass sie in der Sonne hell erstrahlte. Innerhalb dieser Mauer drängten sich die Gebäude so nahe aneinander, dass man sie kaum voneinander