Die Nacht - Del Toro, G: Nacht - Night Eternal (Bd. 3 The Strain Tril.)
die weißen Tabletten in seiner Hand beinahe zum Glühen. Er steckte sie in den Mund und schluckte sie trocken hinunter. Eine davon blieb allerdings in der Speiseröhre stecken, und er musste einige Male auf und ab springen, um sie hinunterzuwürgen.
Er gehört mir.
Eph hielt schlagartig inne. Blickte auf. Kellys Stimme. Von weit entfernt, aber ganz sicher ihre Stimme. Er leuchtete den steinernen Tunnel ab. Niemand. Er war allein.
Er hat immer mir gehört.
Jetzt zog Eph das Silberschwert einige Zentimeter aus der Scheide und ging langsam den Tunnel weiter, bis er zu einer Treppe kam, die nach unten führte. Die Stimme war in seinem Kopf, aber irgendetwas sagte ihm, dass dies die richtige Richtung war.
Er sitzt zur Rechten des Vaters.
Außer sich vor Zorn lief Eph die Treppe hinunter. Lief einen weiteren Tunnel entlang. Lief in …
… das Irrenhaus-Verlies. Wo Gus’ Vampirmutter in ihrer Zelle schmorte.
Er blickte sich um. Sonst war niemand zu sehen. Also ging er vorsichtig auf die bizarre Gestalt mit dem schwarzen Motorradhelm zu, die wie zuvor in der Mitte der Zelle stand. Sie gab keinen Mucks von sich, als das Licht der Stirnlampe auf sie fiel.
Zack glaubt, dass du tot bist , sagte Kellys Stimme.
»Sei still!«, rief Eph und zog das Schwert ganz aus der Scheide.
Er vergisst dich. Er vergisst die Welt, wie sie einmal war. All das war nichts als ein Traum.
»Du lügst!«
Er gehorcht dem Meister. Er respektiert ihn. Und er lernt von ihm.
Eph steckte das Schwert durch die Stangen der Zellentür, und sofort wich Gus’ Mutter zurück – der Vampir spürte das Silber in seiner Nähe. »Was lernt er?«
Keine Antwort.
»Der Junge ist schwach und hilflos. Das ist Gehirn wäsche.«
Wir erziehen ihn. Wir geben ihm Liebe.
Für einen Moment bekam Eph keine Luft. »Nein! Nein … Was wisst ihr schon von Liebe? Was wisst ihr davon, wie ein Vater sein Kind liebt?«
Unser Blut ist sehr fruchtbar. Wir haben viele Söhne geboren … Schließ dich uns an!
»Nein.«
Nur so wirst du wieder mit ihm vereint sein.
»Nein!«
Schließ dich uns an und sei auf ewig mit deinem Sohn verbunden.
Eph war vor Verzweiflung wie gelähmt. Was wollte Kelly von ihm? Was wollte der Meister? Er versuchte, ihnen zu widerstehen … Sei still! Lauf einfach weg!
Und genau das tat er. Zog das Schwert aus der Zellentür und stürmte aus dem Verlies. Rannte die Gänge hinunter, während Kellys Stimme weiter in seinem Kopf dröhnte.
Komm zu uns!
Er stieß eine verrostete Tür auf.
Komm zu Zachary!
Er rannte weiter, und mit jedem Schritt wuchs sein Hass auf den Dämon, der ihm seinen Sohn genommen hatte.
Wir wissen, dass du dir nichts sehnlicher wünschst.
Und dann erklang ein Lachen. Nicht Kellys heiteres, ansteckendes Lachen von früher, sondern ein spöttisches Ge lächter, das ihn provozieren wollte. Ihn zum Umkehren bewe gen wollte.
Aber er rannte weiter.
Und das Lachen verklang in der Ferne.
Nach einer Weile blieb er stehen und holte tief Luft. Die Wirkung des Vicodins hatte inzwischen eingesetzt, und sein Körper fühlte sich an, als würde er in warmem Wasser schwimmen. Sein Kopf aber war ganz klar. Er wusste, dass er gerade eine bedeutende Entscheidung getroffen hatte. Ja, er würde Nora aus den Klauen der strigoi befreien. Würde dem Meister beweisen, dass das selbst in einer so düsteren Zeit wie dieser möglich war: einen Menschen zu retten. Und dass er Zack nie aufgeben würde …
Das Licht der Stirnlampe flackerte und wurde langsam schwächer. Eph sah sich um. Er wollte so schnell wie möglich hier raus – wollte den anderen sagen, dass er bereit war zu kämpfen.
Er bog um eine Ecke … und am Ende des langen dunklen Ganges erblickte er eine Gestalt, deren Arme schlaff an den Seiten hingen und deren Knie leicht gebeugt waren. Ein strigoi ?
Eph hob das Schwert und machte einige Schritte auf die Gestalt zu, hoffte sie im Licht besser erkennen zu können.
Die Steinwände zu beiden Seiten schienen plötzlich zu schwanken. Das verdammte Vicodin hatte ihn jetzt fest im Griff! Bildete er sich die schwarze Gestalt dort auch nur ein? Sah er nur, was er sehen wollte? Hatte er sich so sehr einen Kampf mit einem Vampir gewünscht?
»Komm nur her!«, rief er und ließ seinem Zorn auf Kelly und den Meister freien Lauf. »Komm und schmeck meine Silberklinge!«
Die geisterhafte Gestalt rührte sich nicht, und jetzt war Eph so nahe, dass er im schwachen Licht der Stirnlampe einige Einzelheiten ausmachen konnte: ein Pullover
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