Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Nacht der Haendler

Die Nacht der Haendler

Titel: Die Nacht der Haendler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Heidenreich
Vom Netzwerk:
mit ausholender, zugleich devoter Geste in den winzigen Raum, als bitte er ins Paradies einzutreten, und drehte mit kleiner Wendung und ohne den Schwung seines Armes zu unterbrechen, mir seine offene Hand so geschickt entgegen, dass es unmöglich war, solche Eleganz unbelohnt zu lassen. Liliane lachte. Sie ließ sich aufs Bett fallen und betrachtete mich. Ich war ans Fenster getreten und blickte in den halb dunklen Lichtschacht. Ich glaubte zu wissen, was sie dachte: Was hatte sie mit diesem schmalen, schon etwas gebeugten Mann zusammengeführt? Warum hatte sie eingewilligt, mit ihm zu verreisen? Eigentlich hasste sie den dunkelblauen Anzug mit Nadelstreifen, den ich trug. An meinem Hinterkopf schimmerte schon die Haut durch die Haare, die Ohren waren zu groß, die Arme zu lang, ein Streifen der Krawatte war unter dem Hemdkragen sichtbar, und einem Mann, der hellgrüne Socken und gelbe Schuhe trug, wäre sie auf jeder Party ausgewichen. Ich muss unmöglich ausgesehen haben in der Verkleidung, die ich ihr zuliebe gewählt hatte. Immerhin war sie Künstlerin und liebte Farben. »Eigentlich glaube ich, ich kann dich nicht leiden«, hörte ich Liliane sagen und wandte mich zu ihr um. »Du hast dunkle, dünne Locken, einen bräunlichen Teint, und ich liebe rosenhäutige Männer mit dichten weißen, glatten Haaren. Du lässt deine Schultern hängen, ich liebe sie breit und kräftig. Du bist überhaupt nicht mein Typ, o mein Gott, was für eine Tragödie!« Ich wusste ja nicht, wie genau Liliane in jenem Augenblick Sie beschrieb, den sie noch gar nicht kannte. »Ich habe schwarzhaarige Frauen gern«, sagte ich, legte die Hände auf den Rücken und hielt mich am Fensterbrett fest, »mit winzigen spitzen Brüsten ohne Hof, Frauen, die man Jahre umwerben muss, bis sie einem ihr Knie zeigen. Ich liebe kleinwüchsige katholische Südchileninnen, die in Klosterschulen erzogen worden sind, und ich verreise grundsätzlich nie mit einer Frau. Die letzte, mit der ich auf Reisen war, war meine Mutter, ich war vier, wir waren auf einem Bauernhof in der Nähe von Rosenheim im letzten Jahrhundert, es regnete vierzehn Tage, draußen brüllten die Kühe, im Zimmer brüllten meine Eltern sich an oder mich, es war ein wunderbarer Urlaub.« »Armer Heinrich«, sagte Liliane, »und arme Liliane.« Sie streckte die Arme nach mir aus, ich ließ das Fensterbrett los und kam zu ihr. Was nun folgte, kennen Sie, und ich will es hier in Ermanglung berichtenswerter Variationen überschlagen. Natürlich ließen wir uns das Essen aufs Zimmer bringen, ein nackt eingenommenes Menu, das keinen kulinarischen Essay rechtfertigt, natürlich tranken wir keinen Champagner, weil wir ihn nicht brauchten und darum der Frage entgingen, ob wir ihn hätten bezahlen können; überflüssig auch, im Detail die Verwirrung des blonden Kellners beim Zimmerservice nachzuzeichnen, der sein donaumonarchisches Deutsch angesichts der unbekleideten Gäste noch breiter fließen ließ und seine Bestürzung in um so devoteren Gesten verbarg, die ihm gestatteten, mit tief gesenktem Haupt durchs Zimmer und wieder hinauszugehen.
    Beim Frühstück war ich geduldiger Zuhörer der Vorschläge, die Liliane mir aus ihrem Kunstführer unterbreitete, und als wir, Hradschin, das kleine Kafka-Haus, den Jüdischen Friedhof und etliche Gassen und Türme dazwischen hinter uns, mit schmerzenden Füßen ein zweites Mal an diesem Tag über die Karlúv Most liefen, ereignete sich jener Zwischenfall, den ich Jahrzehnte später im Computer des Antimago aufgezeichnet finden sollte: Die Antimagisten in ihrer schwarzen Jeanskluft, schwarzen Turnschuhen und bis zum Kinn herabgezogenen schwarzen Seidenmützen, die ihnen das Aussehen von Henkern in Hollywoods Produktionen verliehen, tauchten wie aus dem Nichts auf, entrollten blitzschnell ihre Transparente, und während an jedem Brückenende jeweils vier der Vermummten die Spruchbänder an Stangen quer über den Köpfen der Spaziergänger aufspannten und in Eisenringen feststeckten, die – wie spätere Nachforschungen ergaben – nachts zuvor an den Steinbrüstungen befestigt worden waren, hatten die übrigen – ich meine, mindestens dreißig müssten es gewesen sein – sich in der Menge verteilt und damit begonnen, mit ihren langläufigen Pistolen jeden zu bedrohen, der einen Fotoapparat oder eine Videokamera mit sich trug. Die Geschenkhändler an den Brückenrändern kippten in Panik alles, was sie auszustellen hatten, von den Klapptischen in ihre

Weitere Kostenlose Bücher