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Die Nacht der Haendler

Die Nacht der Haendler

Titel: Die Nacht der Haendler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Heidenreich
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Calise übers Haar. Von uns hier kann es keiner. Charisia vielleicht, sie könnte es. Ich weiß nicht, ob sie sich dazu entschließt. Ludovico weiß, dass es eine Schlange war, die über die Straße kroch. Ludovico weiß auch, dass Giacco ein Vorbote des großen Unglücks ist. Er fuhr immer ohne Helm, wie alle jungen Männer hier, die jeden Schutz für Schwäche halten. Sie glauben, sie spüren das Leben nicht mehr, wenn sie vorsichtig sind. Sie lachen über die vermummten deutschen Motorradfahrer in Lederrüstung und schwarzem Visier, während sie selbst in Hemd und kurzen Hosen, barfuss, Gesicht und Haare im Wind, auf ihren hochgetrimmten Maschinen die Bergstraßen hinaufjagen und die Serpentinen schneiden. Giacco wollte einer werden wie sie. Er schämte sich auf seinem lahmen Moped, er übte das Tempo bergab. Ein kleiner Ast vielleicht, ein paar Steinchen, ich weiß nicht, was ihm unters Vorderrad geriet, als er nach Dolcedo hinunterraste und sich so schräg er nur konnte in die Kurve legte. Ludovico weiß, dass es eine Schlange war. Das Mäuerchen am Rand der Straße, zur Sicherheit angelegt, fing Giacco auf, er muss mit dem Schädel voran dagegengeschleudert sein. Er wollte noch weit an diesem Tag, nach Imperia, zum Hafen, wo die jungen Männer zusammenstehen und rauchen und den Mädchen nachpfeifen. Da wollte er wie seine Freunde die Schultern breit machen und unnahbar erscheinen. Den Tag über hatte er sechzig volle Gasflaschen ins Lager geschafft. Signora Calise hat ihm Geld in die Tasche gesteckt und gesagt »Söhnchen, du musst auch noch leben heute, nicht nur schuften«. Eine verdammte Ungerechtigkeit, nicht wahr, beiden gegenüber, dass er nun stirbt. Ich weiß, er wird sterben. Ich habe ihn liegen sehen an Schläuchen, die Klinik ist gut, die Ärzte wissen Bescheid, aber Giacco hält sich schon in der Ferne auf, sein Koma denke ich mir als eine lange schnelle Bergfahrt auf einer neuen, großen, lauten Maschine. Hoffentlich fälschen sie die Wirklichkeit gut, drüben.
    Ich habe mich zu meinen Hunden gelegt, sie spüren immer, was los ist, ich habe mich in ihr Fell gegraben und dem schnellen Herzschlag gelauscht. Heimlich habe ich ihre Herzen dem Himmel verkauft gegen Giaccos Leben. Das Geschäft kam nicht zustande. Ich musste mit der Hölle verhandeln. Ich stand auf und trank eine Flasche zu jungen Barolo. An ihrem Grund war ich sicher, dass ich Giaccos Körper leer getrunken hatte. Ich hatte schon immer Talent in der Disziplin, mich schuldig zu fühlen. Nein, Sie verstehen nicht, was ich meine. Sie bilden sich bloß ein, zu verstehen. Von der platten, alltäglichen Wirklichkeit
    – und davon, was sie mit einem macht – haben Sie keine Ahnung, hinter Ihrer Geldmauer, in Ihrem Geldkoma. Verzeihen Sie. Ich gewinne langsam wieder die nötige Disziplin für unser Thema. Ich habe geschlafen und kalt geduscht. Natürlich dürfen Sie mit Recht verlangen, dass ich mich konzentriere, und auch wenn ich nicht die geringste Lust habe, Ihnen heute zu schreiben, so haben Sie doch jeden vernünftigen Menschen auf Ihrer Seite, wenn Sie mir jetzt entgegenhalten: Giacco, ja, traurig, traurig, aber es geht um mehr, um viele Giaccos, es geht doch um alles, begreifen wir doch bitte, dass Millionen sterben werden, wenn … Wenn was? Wenn das Geld verschwunden sein wird? Alles Geld? Und die nachgedruckten Scheine gerade noch dazu gut sind, Papierflieger zu falten? Na und? Ihre Art Weltuntergang interessiert die Leute hier in Dolcedo einen Dreck. Ich bezweifle nicht, dass Sie Angst um die Zivilisation haben – wie Sie sie verstehen. Bildung, Höflichkeit, Ästhetik, Benimm. Nie die Form verlieren. Ihresgleichen begeht Massenmord im Smoking. Ganz gleich, wie blutig der Befehl ist: Es kommt darauf an, ihn mit Eleganz zu unterschreiben. Mit dieser Eleganz haben Sie die Liebe zwischen Liliane und mir gelöscht. Erinnern Sie sich noch, was Sie sagten, als Sie in Prag an den Tisch kamen, an dem ich mit Liliane kurz zuvor Platz genommen hatte? Sie trugen ein englisches Tweedjackett, das Ihre Schultern noch breiter machte. Wie hieß die Kneipe? In der Nähe des Malteserplatzes waren Liliane und ich in den Keller gestiegen, wollten nur eine Kleinigkeit essen, zufällig standen andere Gäste auf, wir hatten uns kaum gesetzt, als Sie an unseren Tisch geleitet wurden, man hielt es wohl für Verschwendung, uns zwei allein an einem Tisch für vier sitzen zu lassen, und Sie verneigten sich formvollendet und sagten: »Ich möchte Sie um

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