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Die Nacht der Haendler

Die Nacht der Haendler

Titel: Die Nacht der Haendler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Heidenreich
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dinierten, fiel ein Lichtkeil bis vor meine Füße, so als wolle er auf mich zeigen und mich auffordern, einzutreten. Aber ich stieg die Treppe hinauf und kehrte zurück in mein Zimmer. Anna hatte sich aufgerichtet, saß im Bett, das dicke weiße Kopfkissen hinterm Nacken, und wandte mir ihr Gesicht zu. Sie schien zu wissen, was in den vergangenen Stunden geschehen war. »Hans ist verblendet«, sagte sie. »Mein Vater will einen Traum retten. Oder einem vergangenen Traum die Zukunft bewahren. Einem Traum, der so schlecht nicht war, wie er wurde.« »Welcher deiner Väter?« »Der Große Antimago natürlich, wer sonst. Hans hat mich nur gezeugt. Aber Boris Reeper hat mich geliebt. Er hat niemanden betrogen. Und er hat niemanden verraten. Frag die Gesellschaft im Speisesaal! Sie wissen es alle. Glaub mir, er war kein Verbrecher. Er wusste nur nicht, wie grausam die schönen Träume mit uns umgehen.« Sie schloss die Augen und fiel so plötzlich in Schlaf, als sei sie während der Sätze, die sie für ihren Vater gesprochen hatte, nicht wach gewesen.

12
    NEIN, KOMMEN SIE NICHT, verzweifelter Reicher! Und senden Sie mir keine Telegramme mehr! Für Ihre mir ohnehin bekannte und, verzeihen Sie, laienhaft formulierte Meldung »Sicherungsvorräte heillos überbewertet. Stopp. Erbitte schleunigst genaue Details über Arbeitsweise von B. R. Stopp. Muss Sender Währungsreform einleiten und Ressourcen sichern? Stopp. Komme für jedes Gespräch. Stopp« musste der Postbote von Imperia herauffahren, in seinem keineswegs komfortablen und schneckenlahmen Elektrokarren, und das widerwillig, weil er Telegramme für Zeitverschwendung und eine Kommunikationsform des vorletzten Jahrhunderts hält. Es war in sechs Jahren das erste für ganz Pantasina. »Wichtige Leute haben eine Satellitenverbindung, und unwichtige sollten keine dringenden Nachrichten brauchen«, sagte er, als er eine für meine Verhältnisse horrende Zustellgebühr verlangte. Er sagte das nicht als Vorwurf, sondern als Entschuldigung für die Summe. Also lassen Sie bitte diese überholte und immer etwas pathetische Telegrafiererei. Dass ich keine E-mail habe und kein Internet nutze, hat gute Gründe. Der einzige Weg, mich vor Reepers Nachstellungen zu schützen. Davon später. Dass die Goldmärkte in heilloser Verwirrung sind, weiß ich auch ohne Ihre Hinweise. Die Unze für viertausend Dollar in Tokio und sieben Stunden später fünftausendvierhundert in New York, das kann nicht gut gehen. Schrieb ich Ihnen nicht, dass es besser wäre, keine Kurse, gleich welcher Art, mehr zu publizieren? Glauben Sie denn, der tote Reeper, wenn er sich noch irgendwo als Dateistruktur aufhalten sollte, bekommt sie nicht mit? Ich kann Ihnen auch nicht »schleunigst« Details über seine Arbeitsweise auflisten, weil ich beim besten Willen nicht weiß, was für Sie wichtig ist! Ich bin kein Geheimdienst! Ich erzähle, begreifen Sie das endlich, ich erzähle! Und noch nie in der Geschichte der Menschheit hat das Erzählen einen anderen Nutzen gehabt, als die Phantasie der Leser und Zuhörer gären zu lassen, wie man einen Teig gären lässt, das heißt: Den Kuchen müssen Sie selber machen, er wird Ihnen nicht geliefert, die Sprache ist kein Schlaraffenland! Ob schließlich Ihre Regierung sich die letzten Ölvorräte in der Kruste unseres Globusses durch Invasionen sichern sollte, kann ich nicht entscheiden – oder wollen Sie mir die Verantwortung für einen Weltkrieg zuschieben? Dass im Falle der Zerstörung des Geldes nur der etwas bekommen kann, der etwas zu geben hat, liegt auf der Hand. Dass infolgedessen die Räuberei zunehmen wird, ebenso. Aber wann hätte die Macht, der Sie dienen, Verehrtester, je gezögert, sich Ressourcen zu sichern, Geld hin oder her? Tun Sie also nicht so, als seien meine Hinweise für das soldatische Grapschen nach fremden Gebieten von irgendeiner Bedeutung, tun Sie vor allem in Telegrammen nicht so. Am Ende hält man mich hier für eine bedeutende Person, und mein beschauliches Leben läuft auf irgendeine spektakuläre Katastrophe zu, in der bedeutende Leute üblicherweise zugrunde gehen.
    Schon gar nicht wünsche ich Ihren Besuch hier. Ich erinnere mich gut an Ihren penetranten Zug zur Eleganz, diese Liebe zu Brauntönen, die derart fein aufeinander abgestimmt waren, dass das Understatement, das von Ihnen ausging, reichlich übertrieben wirkte; sogar die Farbe Ihrer Schuhe pflegten Sie seinerzeit mit dem Ton Ihrer Haare abzustimmen, das Blond auf Ihrem Kopf

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