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Die Nacht der Haendler

Die Nacht der Haendler

Titel: Die Nacht der Haendler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Heidenreich
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Antimagisten-Kommando die Reisenden, Kameras flogen in hohem Schwung dem Wasserfall entgegen, gingen in seinen Regenbogenschwaden und Gischtbergen unter, die sich langsam zu Schwefelwolken plusterten, vom Schlund des Vulkans Nakadake fauchten sie zum Himmel, während ganze Schulklassen und Reisegruppen, von Antimagisten bedroht, ihre licht-bildnerischen Ausrüstungen über den Kraterrand in den kochenden Schlamm der Tiefe schleuderten; aus den Wolkenschatten kondensierten sich jetzt Kirchenbänke, in der düsteren Kathedrale von Santiago de Compostela hockten eingeschüchterte Touristen und warfen ihre Fotoapparate in Kartoffelsäcke, die von den antimagistischen Schwarzmützen durch die Reihen getragen wurden wie gigantische Klingelbeutel, während in den oben das Kirchenschiff umlaufenden Gängen Bewaffnete standen und ihre Pumpguns auf die internationale Gemeinde richteten; kaum war diese Kollekte vorüber, plumpsten von einem, aus dem Altar stechenden Nilschiff, auf dem eine Delegation des Sony-Konzerns sich vergnügen wollte, die exquisitesten Bildgeräte ins lehmbraune Wasser, durch dessen brodelnde Fläche jäh der schwarzgrüne Riesenbuddha von Kamakura auftauchte und in den grauen japanischen Himmel ragte, von einem Lichtrand umgeben wie ein Cloisonné; noch lief das brackige Wasser des Nils von seinem Gesicht ab, da zersprangen schon an dem Bronzegewölbe seines Bauches kleine und große, billige und teure Fotoapparate; ihre Splitterkaskaden weiteten sich vor der Mole von Etrétat zur Brandung des Atlantik, deren weißer Schaum zwischen den steilen, ins Meer ausgreifenden Bögen der Kreidefelsen die Digitalkameras verschluckte, und Schwarz und Weiß gerannen zu Streifen, Zebraherden zogen durchs Bild, eine Reihe Toyotabusse mit Aufschrift Ambroseli-Tsavo-Park-Tourist-Corporation stand leer vor dem Horizont der fahlen Steppe, neben ihnen, ausgestreckt, auf dem Gesicht liegend, Hände und Beine weit von sich gespreizt, die Tierreservatbesucher, und ihre schönen Weitwinkelobjektive rollten im nächsten Bild unter die Hufe einer vorüberstampfenden Büffelherde; in ihrem Staub und Donner gewann der Souk von Marakkesch Kontur, das helle Zentrum in seiner Mitte, wo der Himmel einfällt in die Schattenschwüle, die roten und gelben Bottiche der Gerber in der Tiefe und oben, an den umlaufenden Gässchen Hunderte von Touristen aus aller Welt, hinter ihnen die bekannten schwarzen Mützen mit Augenschlitzen, unten standen die zerlumpten Gerber starr, hielten die glitschigen Schafhäute in Händen und blickten hinauf, wo der Hagel der Kameras herkam, der ihre Gerberbrühen aus Eichenlohe, ihre Kalkund Schwefelnatriumlaugen aufspritzen ließ. Das Bild schien zu platzen wie eine Eiterbeule, und aus seiner Mitte floss Venedig heran, blähte der Markusplatz sich, der meistfotografierte Ort der Welt, jetzt entstellt durch einen Berg von Fotoapparaten und Videokameras, auf den unter den Blicken des geflügelten Löwen sowohl die Vermummten wie auch nicht vermummte Jugendliche mit schweren Hämmern so lange einschlugen, bis der steinerne Boden vom Schrott der Gehäuse, den Splittern der Objektivlinsen, Chips und Sensoren, den Rädchen der Zoom-Motoren und den Zahnkränzen der automatischen Scharfeinstellungen, von Selenzellen und zerplatzten Batterien, millimetergroßen Schräubchen und Nieten, Speicherchips, Schaltern und Relais bedeckt war und einem Schlachtfeld ähnelte, auf dem sich Magnetbänder, aus ihren Kassetten aufgescheucht, wie Reptilien in qualvollen Schlängelbewegungen und Zuckungen über die Steine wanden, DVD-Scheiben Lichtreflexe zum Himmel sandten und immer noch, als sei die Zerstörung nicht vollendet, der Bildermüll nicht kleinteilig genug, die Schläger ihre Vorschlaghämmer niedersausen ließen. Der Lärm war gewaltig, und schön war, wie ich zugeben musste, die Wut der Hämmernden, merkwürdig die sture Ratlosigkeit einiger Carabinieri am Rande des Platzes, wo sie mit erhoben Händen standen, ohne dass einer sie bedrohte. Die Tauben flatterten zwischen den Schlägern, wackelten durch den schwarzen Blech- und Plastikmüll, wichen aufstiebend den Hämmern aus, pickten kreiselnde Silberschrauben auf und ließen sie wieder fallen. Am meisten erstaunte mich, dass die Umstehenden – einige von ihnen gewiss soeben ihres kostbaren Geräts beraubt – keinerlei Zeichen des Entsetzens im Gesicht trugen, ja mit einer an Erlösung grenzenden Entspanntheit zusahen, wie ihre Erinnerungen zerstört wurden, nicht

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