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Die Nacht der Haendler

Die Nacht der Haendler

Titel: Die Nacht der Haendler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Heidenreich
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Säcken und einem gelegentlichen metallischen Schnappen und Klicken auf der Galerie nur das sehr leise Summen, das sich aus den Gebeten vieler Religionen in vielen Weltsprachen zusammensetzt. Noch nie seit der Zeit der großen Pilgerströme war in dieser Kathedrale so viel inbrünstige Frömmigkeit versammelt, und noch nie hatte eine so vielsprachige Symphonie des Glaubens die Gebeine des heiligen Jakobus umklungen.
    Durch die Reihen wandern die Apparate von Hand zu Hand, erleichtert gibt jeder dem unbekannten Nachbarn, was er noch vor wenigen Minuten um keinen Preis aus den Augen gelassen hätte. Ich hebe beide Hände, um zu zeigen, dass ich keine Kamera bei mir trage, die beiden, am Ende meiner Reihe wartenden Terroristen winken mich hinaus. Der eine tastet mich ab, er nickt. Ich will ihm nicht in die Augen-schlitze sehen, starre an seiner Kapuze vorbei zum Altar. In halber Höhe sehe ich dort zwischen verknäultem Gold die silbernen Gitter eines Ganges, der, von einer niedrigen seitlichen Pforte aufsteigend, hinter dem hohen Hauptaltar oder gleichsam durch sein Herz hindurch sich einer zweiten Pforte auf der anderen Seite entgegensenkt. Ähnlich jenem Stollen unter der Apsis, von dem eine Kapellengruft abzweigt: Da, ebenfalls hinter Gittern, steht der anbetungswürdige Sarkophag mit den heiligen Knöchelchen … Die Pforten der beiden Gänge sind von schwarzen Posten besetzt, es kann sich darin keiner aufhalten. Und doch bewegt sich hinter den silbernen Spalieren ein Gesicht auf und ab, starrt da einer mitten aus dem Altar heraus auf den entseelten Priester und die fleißig spendende Menge. Ich weiß, dass Reeper dort lauert. Ich erkenne ihn nicht, aber ich weiß es. Er giert nach dem Ausdruck der Angst auf den Gesichtern. Er wird ihn noch einmal genau betrachten können, denn irgendwo hier läuft auch Stieftaal herum und filmt heimlich, aus seiner Kutte heraus, diesen wie alle anderen Überfälle zuvor. Reeper aber genießt die Gegenwärtigkeit der Furcht, er saugt sich voll mit Blicken, er säuft unsere Ohnmacht, das Gemurmel der Betenden, den Weihrauchdunst, der über allem schwebt und die profane Kollekte der Fotoapparate zu einem antimagistischen Gottesdienst überhöht. Er genießt es, in dem bedeutendsten Pilgerziel neben Rom und Jerusalem zu herrschen er, der Antimago, größer als die Kirche, und bald wird sie, die ewige, heilige, seine Macht anerkennen. Sie wird sich seine Idee, wie so viele in ihrer Geschichte, nicht einverleiben als irgendein Nebensakrament, nein, er wird der vatikanischen Bitte gnädig entgegenkommen und der Ecclesia gewähren, dem Weltgebäude des Antimagismus als Baustein zu dienen und von ihren Kanzeln künftig und für alle Zeit ihn, Reeper, zu preisen, als »Holy Purifyer of the Real Globe«, wie ihm Jesus-Robespierre einst in Chicago vorhergesagt hatte, wo er in einem Cybertrip mit dem Satan kämpfte … CYBER …? Wieder der stechende Schmerz, die glühende Scheibe in meinem Kopf. Reeper muss mich erlösen davon, ich schiebe mich ungehindert durch die Menge, mitten durch die Leiber, gehe durch die Bänke, als stünden sie nicht da, durch den toten Leib des Priesters sehe ich meine Schuhe laufen, ich gleite durchs Gitter, und Reeper tritt ein wenig zur Seite, als habe er Respekt, macht mir Platz in dem engen Gang. »Nun also weißt du es, Heinrich, mein Sohn! Mein Name wird in den Domen der Welt neben dem des Gekreuzigten stehen!« Ja! »Meine Gebeine werden dereinst in einer vergitterten Gruft liegen, vor der die Menschen Kerzen entzünden und Bittgebete und Dankgebete sprechen!« Ja!
    »Denn ich bin die Wirklichkeit, die Wahrheit und das Glück!« Ja! »So sei der Schmerz von dir genommen, mein lieber Sohn, denn ich werde bei dir sein – für alle Zeit.« Ein Blitz zuckt durchs Gitter, und in seinem blauweißen Licht verfärbt sich Reepers Gestalt. Für den Bruchteil einer Sekunde scheint er sich aufzulösen in winzige, flimmernde Quadrate, Cyan, Gelb, Rot, Schwarz, Magenta, Grün, Weiß und Blau, und in diesem Augenblick weiß ich: Dies sind die Grundfarben, aus denen sich die vier Millionen Töne des FANTANIMA -Programms zusammensetzen, ich weiß, dass ich als virtuelle Gestalt dem virtuellen Antimago in der virtuellen Kathedrale von Santiago de Compostela gegenüberstehe, ich weiß, dass ich Ihnen all dies schreiben werde, ja bereits geschrieben habe in den ligurischen Bergen, dass ich in dreifacher Gegenwart existiere: in der des Programms, in der meiner Briefe an Sie und

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