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Die Nacht der Haendler

Die Nacht der Haendler

Titel: Die Nacht der Haendler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Heidenreich
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Beweise vorlegen, es gibt ärztliche Bulletins, alles muss noch einmal aufgerollt werden, ich bin das Opfer einer Verwechslung und abgefeimter Intrige! Nimm endlich den Schmerz aus meinem Kopf! Dein Ungehorsam hat sie getötet. Sie sitzt zu Füßen Gottes und deutet auf dich und sagt: Jener da ist mein Sohn. Er hat mich nicht geliebt. Ich rief ihn, und er lief fort. Ich fragte ihn, und er verkroch sich hinter warmen Lügen. Ich umarmte ihn mit meiner Seele, und er flüchtete aus der Kirche! Er ist mein Blut. Er soll sich aufrichten und bekennen. Er soll mir Liebe schwören in Ewigkeit. Er soll sich niederwerfen und weinen. Er soll verzweifeln und vergehen vor Scham. Er soll kommen und sehen und um Verzeihung bitten – und meine Füße massieren –. Ich soll was? Ihre Füße? Ihre immerzu kalten, weichen, Füße? Aber natürlich, wenn es ihr gut tut. Jederzeit! Ich habe es als Junge geübt, nicht immer ohne Widerwillen, aber zu ihrem Genuss! Auf diesen Füßen hat sie mich getragen, mit diesen Füßen hat sie ungezählte Gänge für mich getan, warum sollte ich sie ihr nicht massieren? Wahrlich eine leichte Buße! Mein Schmerz war verflogen. Ich fand mich aufrecht sitzend zwischen einer interessiert blickenden Inderin und einem schwarzen Herrn in großkariertem Anzug. Langsam ergebe ich mich dem qualmenden Ungeheuer, das wieder und wieder fauchend dicht über uns hinwegfährt und sich aufhebt ins Gewölbe, sich wieder und wieder auf uns arme Sünder stürzt. Auch wenn ich weiß und mir einrede: die Schwinger halten das Biest im richtigen Abstand von meinem Scheitel, ist die Seele unsicher und zittert unter dem memento mori . Ich höre eine Frauenstimme in mir, schwermütig, in alter Melodie: »Ando buscando meles e frescura … Ich bin auf der Suche nach Honig und Frische/für meine trockenen Lippen, /und ich weiß nicht, warum ich/nur auf Brennendes und Bitteres stoße … queimores e amarguexos.« Ging sie über ein Schlachtfeld? Stand sie an einem Grab? Verweigerte Jakob den Trost? Es ist ja nicht so, dass der Apostel Jakobus hier nur der Heilige wäre. Ich sehe ihn vielfach, in Seitenaltären, als Ritter, in Leder gerüstet, das Schwert in der Hand – und zu seinen Füßen hingemäht die Körper der »Ungläubigen«. In der entscheidenden Schlacht der Christen gegen die Mauren ist er mitten unter den schon weichenden Truppen der Kirche erschienen: Weiß leuchtete sein Pferd, und sein Schwert fuhr nieder auf die »Mohren«, Aberhunderte hat er geköpft und geschlachtet für den Sieg des Heilands am Ende der Welt … »Ando buscando meles e frescura« … die Stimme entfernt sich. Die Kathedrale ist ganz erfüllt vom beißenden Qualm. Kaum sehe ich, ahne mehr im Dunst, dass die weinroten Ofendiener stillhalten, sich nicht mehr ins Tau hängen, endlich verweigern sie dem Drachen ihre Kraft, der ausschwingt. Ruhig sehen sie zu, wie die Schwerkraft ihn einfängt. Die Flammen ziehen sich in seinen Bauch zurück. Noch immer jault er leise auf den engeren Pendelflügen, nicht mehr so wütend, nicht mehr siegessicher, und langsam verglüht hinter den Löchern im Silber der Weihrauchrest. Kaum noch reicht sein Zirkel hinaus über die Grenzen des Podestes, unsere Köpfe gefährdet er nicht mehr. Da stellt sich ihm breitbeinig der Knüpfer in den Weg. Atemlos sehen wir zu, denn noch muss der Ofen den Mönch zweifellos auf die Steine werfen. Das ist der Augenblick, in dem der Knüpfer sich zum Fänger wandelt: Der sterbende Drache, noch sieben, acht Meter weit mögen seine Ausschläge sein, schwingt auf ihn zu. Der Knüpfer weicht nicht. Der Ofen rennt mit letzten Rauchfetzen gegen ihn an, da packt ihn der Fänger an den Ketten, nutzt den Schwung, dreht sich blitzschnell zur Seite, verwandelt die geradlinige Wucht des Pendelschlags in einen Kreis, zwingt den Silberleib in eine Pirouette vor dem Altartisch, springt nach der dritten Drehung des Tanzes breitbeinig in den Stand und hält, jeder Zoll ein Herrscher, den Drachen auf der Stelle. Wir staunen. Spanischer Stolz im Gesicht des Fängers. Das Fass wird auf den Boden gelassen, vom Tau gelöst, die Querstange wird durch den Kopfring gezogen, der Weihrauchkessel wird, von Zweien geschultert, hinausgetragen wie ein zur Strecke gebrachtes Wild. Der Schwindel in uns hat sich gelegt. Wir spüren wieder den kalten Steinboden unter den Füßen. Der Weihrauchdunst verzieht sich in die Ränge und hohen Wandelgänge der Kathedrale. Doch dort, auf der in acht Metern Höhe das ganze

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