Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Nacht der Haendler

Die Nacht der Haendler

Titel: Die Nacht der Haendler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Heidenreich
Vom Netzwerk:
Geschichte. Wusste er nicht, dass eine Ideologie der Realität ein Widerspruch in sich selbst war? »Ich weiß, was du denkst, Heinrich. Aber besser, als von den Läusen bejubelt zu werden, ist, über sie hinwegzufliegen!« Und schon hatte er mich hinausgestoßen, ich sah, dass ich stürzte, und sank doch nicht auf die Menschen zu, ich hob mich, Reepers Arm um meine Schulter, dem Licht der Küste entgegen, dem Glanz, den die Sonne über das Meer sandte, wir flogen und hörten den Wind in unseren Ohren sausen, wir hoben uns höher, ich sah den goldenen Schein auf der zierlich gedrechselten Elfenbeinkathedrale, über der wir uns in den Himmel schraubten, deren Stadt wir verließen, der dunstigen Ferne zu, über Gebirge mit weißen Gipfeln, gefleckte Ebenen, gezirkelte Felder, blitzende Flüsse, über Hügel mit grünen Schatten flogen wir nach Osten, ins dunklere Land, senkten uns da und stießen auf einen See nieder, eine entgegenwachsende Insel, ein Haus, neben dem ein großer Kristall glänzte. Reeper öffnete das Portal des Oktogons, trat mit mir ein in sein »Allerwirklichstes«, durch dessen weiße Vorhänge das späte Licht des Tages auf die Schmetterlingstreppen fiel. »Hier, lieber Freund, und, ich glaube, ich darf sagen: Jünger
    – hier siehst du mein Eigentliches. Weißt du, was das bedeutet? Ich weiß, du warst schon hier, Hans ließ die Tür für dich offen stehen gegen die Regel, gegen meinen Befehl. Aber warst du denn mehr als erstaunt? Wusstest du, was du mit eigenen Augen ansahst? Hast du begriffen , ich meine mit all deinen Sinnen wirklich erfasst, was du hier siehst? Nein – du bist ja gekommen, um mich zu vernichten, widersprich nicht, ich weiß es. Jetzt aber glaubst du. Oder du glaubst, dass du glaubst. Oder du sehnst dich danach, dass ich glaube, du glaubst. Ich glaube dir, Heinrich, mehr, ich bin sicher. Ich bin so sicher wie noch nie in meinem Leben – wenn du für meine derzeitige Daseinsform dieses Wort gestattest … Du bist gekommen, um mich zu zerstören. Und du wirst bleiben, um mir nachzufolgen. Das ist nicht ungewöhnlich in der Geschichte der großen Religionen; wie oft wurden aus heftigen Feinden die glühendsten Proselyten! Weil nur die Feinde ganz verstehen, die Zweifler, die Erwiderer und Ungläubigen, welcher Größe sie ihren Widerstand entgegensetzen! Dich, Heinrich, habe ich zu meinem lieben Sohn erklärt. Vor den Menschen und vor der Realität – der die Menschen ja nur zu einem Teil angehören, wie du weißt.« Er war schön, als er so sprach. Er stand in seinem ein wenig altmodischen veilchenblauen Anzug, die weißen Haare noch wirr von unserem Luftabenteuer, vor der Schmetterlingspyramide, und mir fiel auf, wie bleich seine Hände waren, wie vielfarbig sein Gesicht, wie leuchtend seine grünen Augen. Hatte nicht seit unserer letzten Computerbegegnung im Speicher des Hauses sein Bartbewuchs zugenommen? Wie stolz er vor der Pyramide und ihrem Farbenpelz stand! Wie ausdrücklich er am Leben war! »Du sollst nun wissen, dass dies, was du hier siehst und was in jedem Jahr an meinem Geburtstag die Pilger und uralten Antimagisten besuchen, die Läuse, die ihre längst erstorbene Begeisterung hierherschleppen und hoffen, dass ihnen beim Anblick meiner Pyramide eine zweite Jugend geschenkt wird
    – dass dieser Bau mein Leben enthält, mein ganzes Leben, zumindest mich als Idee, als Gott, wenn du so willst, nun ja, wir wollen nicht übertreiben, noch ist es nicht so weit, als Lenker, wenn dich das Wort nicht verstört. Sagen wir Philosoph, das trifft es. Denn ich habe tatsächlich das Glück der Läuse im Blick. Du, der du kamst, mich zu töten, wirst mein Erbe verwalten. Du musst wissen, woraus es besteht. Ich werde die Hülle nicht abziehen, jeden der Schmetterlinge hat Anna mit eigener Hand auf die Stufen gelegt, und keine Aktion meiner Leute irgendwo auf der Welt, wo wir die Läuse von ihren Kameras befreiten, fand statt, ohne dass eine sehr viel größere Schar meiner Getreuen mit Netzen auszog, Schmetterlinge zu fangen! Aus allen Erdteilen sind sie hier zusammengetragen! Aber ich will dir das Geheimnis des Baus preisgeben, jetzt und hier will ich dir als meinem jüngeren Antimago – denn für jeden kommt die Zeit, seinen Nachfolger zu bestimmen – den Unterbau nennen, die Basis, du weißt ja, dass jede Idee ihrer Basis bedarf?« Ich nickte wie ein Schüler. »Diese herrliche Pyramide, das Allerwirklichste der Welt, wurde errichtet von mir aus Kassetten. Ich, Boris

Weitere Kostenlose Bücher