Die Nacht Der Jaegerin
Amber sah sie mit beinahe mütterlichem Mitleid an. «Du hast doch nicht
wirklich
geglaubt, dass sie dir das alles allein überlassen, oder?»
Jane trat einen Schritt zurück und starrte die Kamera auf der Kücheninsel an, als wäre sie mit Anthrax verseucht.
«Also, ich ...» Sie spürte ein schreckliches Brennen in den Augen.
«Es tut mir unheimlich leid», sagte Amber. «Ich hätte dir das schon vor Tagen sagen sollen.»
Jane schluckte mühsam. Kein Wunder, dass Matthew sie ausgelacht hatte. Sie lachten
alle
über sie. Alle lachten sich kaputt über Miss Oberschlau, die noch die Schulbank drückte und hier mit ihrer Profi-Videokamera rumstolzierte. Alle: Ben, Antony, die Leute von der
White Company
... Ben ... Antony ...
«Antony hat mich auch reingelegt?»
Du bist meine Nummer eins.
«Jane, es ist ... Er sieht es ganz bestimmt nicht so. Diese kleinen Sonys sind verhältnismäßig billig, die können sie verteilen wie Einwegkulis. Und er hat vermutlich gedacht, dass du dir mehr Mühe gibst, wenn du glaubst, du wärst die Einzige, die filmt.»
«Er hat mich
reingelegt
!»
«Er hat auch Ben reingelegt. Und Ben hat Antony reingelegt. Und du und ich, ganz unter uns gesagt, wollten deine Mutter reinlegen. Beim Fernsehen, Jane, wird jeder irgendwann mal reingelegt. Da heiligt der Zweck immer die Mittel. Wenn alles vorbei ist, werden sich Ben und Antony zusammen den Film ansehen und sich anschließend besaufen. Und das war’s dann.»
«Das ist widerwärtig.»
«Nein, Jane.» Amber lachte kurz auf. «Das ist Kunst.»
«Und was sollen wir jetzt tun? Etwa einfach mitmachen?» Achtlos zog Jane die Kamera am Schulterriemen von der Kücheninsel.
Amber sagte: «Falls du gerade daran denkst, das Ding auf dem Boden zu zerschmettern, dann lass es lieber.»
Jane schüttelte den Kopf. «Was soll ich machen?»
«Ich glaube, du solltest tun, was du von Anfang an hättest tun sollen. Erzähl es deiner Mutter. Alles.»
«Und wie wird sie reagieren?»
Amber sagte: «Ich bin zwar bloß eine Köchin, aber ...»
«Amber! Wenn Sie das noch
ein Mal
sagen ... ich meine, ich bin schließlich auch bloß eine
Schülerin
, und wenn schon ich es merke ...»
«Wenn du was merkst?»
«Dass es, wenn Conan Doyle, der Hohepriester des Spiritismus, über das, was hier passiert ist, geschwiegen hat, etwas ziemlich Unerfreuliches gewesen sein muss.»
«Aber offensichtlich nicht unerfreulich genug, um dich daran zu hindern, etwas Ähnliches zu filmen, wenn du die Gelegenheit dazu hättest.»
Jane legte die Videokamera zurück auf die Kücheninsel.
«Ich bin nicht gerade ein netter Mensch, oder?»
«Du bist ein
junger
Mensch, das ist alles.»
«Na gut, ich rufe Mom an. Und weiter?»
Amber verschränkte die Arme und starrte auf den Fliesenboden. «Ich glaube, deine Mutter sollte sich einmal mit Mrs. Pollen unterhalten.»
«Warum?»
«Sie ist heute zu mir gekommen. Hat gesagt, dass sie keine Missstimmung verursachen will und so weiter. Sie ist eine Provinzhausfrau vom alten Schlag. Frauenverein, Kuchenbacken für den Wohltätigkeitsball, zwei goldbraune Labradors. Und sie ist die Einzige aus der Gruppe, die eingetreten ist, nachdem es in der Familie einen Todesfall gegeben hat. Und sie war eine regelmäßige Kirchgängerin.»
«Das ist dann der Lohn dafür, dass man sich jahrelang grässliche Kirchenlieder und miserable Predigten anhört», sagte Jane. «Er schnappt einem viel zu früh den Ehepartner weg.»
«Ihr müsst ja anregende Diskussionen miteinander führen, deine Mutter und du.»
«So bleibt sie auf Zack.»
«Mrs. Pollen glaubt, ihr Ehemann hätte sie hierhergeführt.» Amber zuckte mit den Schultern. «Ich habe den Eindruck, dass sie denkt, wenn sie durchkommen, wird sie ... belohnt.»
«Indem sie Kontakt mit ihm aufnehmen kann? So was passiert nicht.» Jane richtete ihren Blick auf das hohe Fenster, durch das man tagsüber die Gipfel der Stanner Rocks sah. «Das ist echt traurig.»
«Oberflächlich gibt sie sich lebhaft und vernünftig, aber in Wahrheit ist sie völlig durcheinander. Auf jeden Fall glaube ich, sie würde sich gern einmal mit deiner Mutter unterhalten, und das würde ja auch keinem von uns schaden.»
«Außer vielleicht Ben.»
«Das ist nicht mein Problem», sagte Amber, und Jane fiel ein, dass Nat gesagt hatte, Amber würde darüber nachdenken, Ben zu verlassen.
Amber sagte: «Sie nennen es das Stanner-Projekt. Aber Ben nennt es den
Aufhänger.
Das aktuelle Ereignis, an dem sie eine
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